Der Konflikt um zwei Einzelhandelsstandorte in Hoyerswerda kocht wieder hoch. Ich schreibe unter dem Titel „Treff 8 contra Neue Kühnichter Heide“ eine Artikelserie auf Facebook. Dies ist der 5. Teil.
Fakten, wie Nadeln unterm Nagelbett
Fakten, Schlussfolgerungen, Empfehlungen. Er sprach kurz, bündig, drastisch. Manchmal schien es, als steckte in seiner kühlen Sachlichkeit ein gewisses Vergnügen, uns zu erschrecken. Jens Gerhardt-Strahl vom dreiköpfigen Expertenteam, das den Konzeptionellen Stadtteilplan 2040 für die Neustadt im April dieses Jahres vorstellte. (ab Minute 52:45)
(1) Ein Drittel der Einwohnerschaft in der Neustadt ist über 80 Jahre alt. Wir dürfen also in den nächsten 5-7 Jahren Bevölkerungsverluste in Größenordnungen erwarten. (Strahl sagte trocken: „demographische Abgänge“)
(2) Das beträfe, in Wohnungen umgerechnet, 40-50 Blöcke vom Bautyp WBS 70.
(3) Wollte man ein „Raus-Rein“ von Mietern, müssten 20.000 € pro Wohnung investiert werden, damit dort wieder jemand einzieht: „Ich hab das mal ganz bewusst nicht hochgerechnet, weil wir dann alle vom Glauben abfallen.“ Bei einer grundhaften Sanierung eines Blockes müsse man mit ca. 7 Mio € pro Wohnblock rechnen.
(4) Für die immense Fläche der Neustadt müssten ca. 80% der Straßen, Wege, Plätze und Freiflächen saniert werden – mit einem Investitionsbedarf von 180 Mio €. Wenn man die gesamte Fläche betrachtet.
(5) Gerhardt-Strahl erwähnte auch die Infra- und Leitungsstruktur unter der Erde, die ebenfalls einen sehr hohen Investitionsbedarf hätte. Zahlen nannte er nicht, er wollte uns wohl „schonen“.
Und dann zog er die Nadeln heraus: Das banale Rosarot
„Die Neustadt ist eine Planstadt und es tut ihr nicht gut, wenn wahllos zurückgebaut wird, wenn Strukturen von damals nicht mehr ablesbar sind. Wir denken, dass dieser Plan dringend notwendig ist.“
Und dann zeigte er sie – die Planzeichnung für die Neustadt.
„Es ist eine ganz banale Rosa-Fläche, extrem banal, aber extrem wichtig in ihrer Aussage.“
Das banale Rosa sind die möglichen Konturen der Neustadt 2040. Es sind die Bereiche „wo es keinen Rückbau mehr geben sollte, weil ansonsten die städtebaulichen Strukturen total verwässern. Sie wissen nicht mehr wo, innen und außen ist, wo Straße ist, wo Hof ist. Am Ende entsteht ein völlig diffuses Bild, was keine Aufenthaltsqualität mehr hat.“
Schmerzliche Telegramm-Botschaften
Und dann wird er eindringlich, fast missionarisch mit knappen Telegramm-Botschaften: Weniger Fläche, mehr Fokus. Lockere Bebauung am Rand. Verdichtung zum Zentrum hin. Stadtreparatur. Klasse statt Masse. Klein, aber fein. Weniger ist mehr. Aber mit höherer Qualität.
„Es ist schmerzlich zum Teil, aber wir sehen keine andere Möglichkeit, um die Neustadt so in die nächste Generation zu bekommen.“
Und dann sagt er mit einem sonderbaren Unterton, dass wir die Brillen wechseln sollten. Und zwar sollten wir die Brillen der neue Zielgruppen aufsetzen, die nach Hoyerswerda kommen sollen, die neuen Fachkräfte.
Das Treff 8 mitten im Rosarot
Und nun kommt’s: Mittendrin im Rosarot der Plankarte ist das Gebiet um das Treff 8 Center zu sehen. Mit einem dicken, roten Punkt. Von mehreren Kreisen umgeben. Er ist in der Planzeichnung als Nahversorgungszentrum bezeichnet.
Über etwas sprach der Stadtplaner Jens Gerhardt-Strahl allerdings überhaupt nicht:
Das gestreifte Grün
Dies ist eine Fläche außerhalb vom Rosarot und in der Plan-Legende mit dem Begriff „Strukturwandeloptionsgebiet“ bezeichnet: Es ist die Fläche des Planvorhabens „Neuen Kühnichter Heide“. Außerhalb von ihr der liegt das neue Einkaufszentrum. Außerhalb. Auf einem schwarzen Punkt jenseits des Stadtgebiets. Die Legende bezeichnet es als Nahversorger.
Nanu? Ein klarer Widerspruch!
Der Stadtteilplan Neustadt sagt also sehr deutlich: Treff 8 – Nahversorgungszentrum. Und das Einkaufszentrum „Neue Kühnichter Heide“ – Nahversorger. Baurechtlich ein gravierender Unterschied.
Im neuen Einzelhandelskonzept (EHK) ist es eigenartigerweise genau umgedreht!
Hat die Stadtverwaltung versäumt, das Gutachter-Team des EHK über die Arbeit des anderen Gutachter-Teams zu informieren, das sich mit dem Stadtteilplan Neustadt beschäftigte?
Ist das „Grüngestreifte“ vielleicht ein Joker?
Geben wir uns mal die Mühe und schauen wertschätzend auf das „Grüngestreifte“ und den daneben liegenden, etwas verloren wirkenden schwarzen Punkt, dann könnte man sagen: Es ist der Joker, den man zieht, sollte sich für Hoyerswerda das positive seiner drei demographischen Entwicklungs-Szenarien einstellen.
Die drei demographischen Szenarien
Sie findet man im neuen Stadtentwicklungsplan GeREHK, dem „Mantel“-Dokument des Stadtteilplans:
(1) Das Szenario: „Fortberechnung Status Quo“.
Bei einer jährlichen Zuwanderung von 33 neuen Einwohnern landen wir – gegenüber 2022 – im Jahre 2040 bei einem Verlust von 4.058 Erwerbsfähigen und 6.569 Einwohnern.
(2) Das Szenario: „Stabilisierung Arbeitsmarkt“.
Bei einer jährlichen Zuwanderung von 274 neuen Einwohnern landen wir 2040 bei einem Verlust von 1.862 Erwerbsfähigen und 3.240 Einwohnern.
(3) Das Szenario „erfolgreicher Strukturwandel“.
Bei einer jährlichen Zuwanderung von 498 Einwohnern landen wir 2040 bei einem Zuzug von 563 Erwerbsfähigen und 345 Einwohnern.
Wann spielt man den Joker aus?
Das ist jetzt die Frage. Gleich zu Beginn dieser demographischen Lotterie? Oder wartet man lieber noch etwas? Und wir reparieren inzwischen die Stadt so gut wie möglich – unter anderem den Treff 8 – verdichten die Neustadt zu einem Stadtteil mit attraktiven, urbanen Begegnungsorten. Und machen Ballett, um durch den empfohlenen städtebaulichen Wettbewerb machbare, visionäre Bilder für unsere Stadt der Zukunft zu finden. Bilder, die uns verblüffen und begeistern. Bilder, die Investoren ganz neuer Klasse neugierig auf uns machen und anlocken.
Hat die Vision der „Neuen Kühnichter Heide“ mit ihrem optionalen Einkaufszentrum diese Qualität?
Was ist los mit unserer Stadtverwaltung?
Sie tut sich verdammt schwer mit dem neuen Einzelhandelskonzept (EHK), nicht wahr?
Fassen wir deshalb abschließend ihre merkwürdigen Versäumnisse nochmals zusammen:
(1) Die Stadtverwaltung hat versäumt, das Gutachter-Team des neuen EHK damit zu beauftragen, das Planvorhaben des Treff 8 Centers mit in die Untersuchung aufzunehmen. Sie verantwortet, dass das neue EHK analytisch unvollständig und in seinen Schlussfolgerungen möglicherweise inkorrekt ist.
(2) Die Stadtverwaltung hat den Stadtrat nicht über die Gründe dieser Unterlassung in Kenntnis gesetzt, obwohl sie vom Stadtrat per Beschluss beauftragt war, alle zukünftigen Planvorhaben des Einzelhandels für das EHK untersuchen zu lassen.
(3) Die Stadtverwaltung versäumte es, sich an das Gleichbehandlungsprinzip zu halten – unter Bevorteilung des Projekts „Neue Kühnichter Heide“ und zuungunsten des Treff 8 Centers.
(4) Die Stadtverwaltung versäumte es möglicherweise, eine Bauvoranfrage des Treff 8 Centers rechtskonform zu behandeln und riskiert nun eine Amtshaftungs- und Schadensersatzklage in Millionenhöhe.
(5) Die Stadtverwaltung versäumte es, das Gutachter-Team des neuen EHK darüber in Kenntnis zu setzen, dass ein externes Stadtplaner-Team bereits seit 2023 an einem neuen Stadtentwicklungskonzept und Stadtteilplan für die Neustadt arbeitete und die Rechtslage zwischen den beiden Standorten genau umgekehrt einschätzt.
„Wir lieben Ideen.“ Aber leben wir sie auch?