Nach einer Pressekonferenz scheint die Rettung vom Hochhaus am Knie in der Neustadt von Hoyerswerda endgültig gescheitert. Eine Nachbetrachtung.
Wie eine lästige Wespe – in 90 Minuten fast 40x erschlagen
Als ich die Berichte der lokalen Webzeitung Hoyte24, der Sächsischen Zeitung und der Lausitzer Rundschau las – über die Pressekonferenz der Wohnungsgesellschaft Hoyerswerda (WGH) mit den Versorgungsbetrieben Hoyerswerda (VBH), die gemeinsam zur Petition der Projektinitiative „Energie-Hochhaus am Knie“ Stellung nahmen, musste ich spontan an das Bild einer lästigen Wespe denken, auf die man panisch einschlägt, weil man Angst hat, dass sie doch noch stechen könnte. Die Petition der Projektinitiative – so liest es sich jedenfalls – wurde regelrecht platt geschlagen, bis ihr zarter Körper mit seinen feinen Flügelchen erlahmte – unter einem Gehämmer von Argumenten, die das eigentliche Problem der Petition nicht erkennen. In einem Bericht lese ich:
„’Wir sehen an allen Fronten Risiken‘, sagt WH-Geschäftsführer Steffen Markgraf, der sich am Mittwoch 90 Minuten Zeit nahm, um der lokalen Presse detailliert seine Sicht der Dinge darzulegen. (…) Die WH legte eine Erklärung mit sage und schreibe fast 40 Anstrichen vor, die zeitliche Abläufe und Argumente zusammenfassen.“
Einer, der von Tuten und Blasen Null Ahnung hat
Nun müssen Sie als erstes wissen: Ich war Mitglied dieser Initiative und Mitunterzeichner der Petition. Einer von fünf Petentinnen und Petenten der insgesamt sechsköpfigen Initiativ-Gruppe. Und ich bin befangen.
Zugegeben, ich war der Einzige in der Gruppe, der kein Ingenieur-Diplom in der Tasche hatte und der vom technischen und kalkulatorischen Tuten und Blasen Null Ahnung hatte und hat, was die verrückte Idee des Umbaus eines Wohn-Hochhauses in ein Energie-Hochhaus betrifft.
Ich musste mir das Hochhaus am Knie als eine gigantische Luft-Wasser-Wärmepumpe vorstellen, wie eine solche, die in Helsinki gebaut wird, nahe eines Wohngebiets. Wenigstens habe ich jetzt eine Vorstellung davon, wie eine gewöhnliche Wärmepumpe funktioniert und projiziere diese Vorstellung in den gewaltigen Baukörper hinein, den der Ingenieur unseres Grundeinfall ganz poetisch „Palast der Winde“ nannte. Luft die von außen in das Gebäude hinein und hinaus geführt wird – für den Prozess der Erwärmung oder Kühlung eines endlosen Wasserrohrsystems, dessen Leitungen sowohl hin zur als auch weg von der Wärmepumpe führt – dem eigentlichen Herz der Wärmeenergie-Erzeugung. Aber hören wir hier lieber auf. Denn müsste ich Ihnen das Ding noch genauer erklären, würde ich mit einem jämmerlichen Stottern fortfahren und Sie würden mitleidig ihr Smartphone zücken und danach googeln.
Wenn man Ingenieure von der Leine lässt
Als eine Ingenieurin, die eine ergänzende Idee für das Energiehaus einbrachte, nämlich dass man Teile des Gebäudes für Server-Räume der Cloud-Industrie nutzen könnte, fiel dies meinem Vorstellungsvermögen bedeutend leichter: Ich hatte in „Mission Impossible“ Tom Cruise in solchen Räumen heimlich Kabel umstecken sehen. Oder war es Matt Damon in den „Jason-Bourne“-Filmen? Oder Keanu Reeves in den „Matrix“-Filmen? Wie auch immer. Ich staunte, worauf ein Rudel von Ingenieurinnen und Ingenieuren in Hoyerswerda so kommen können, wenn man sie von der Leine lässt.
„Kommunale Intelligenz“ nennt das der Hirnforscher Gerald Hüther, der aus Sorge um die Überlebensfähigkeit kommunaler Demokratie und Kreativität ein gleichnamiges Büchlein schrieb – über die Potentialentfaltung einer kommunalen Bürgerschaft.
Das Haar in der Suppe
Kommunale Intelligenz in Hoyerswerda? In einer Stadt, die seit Jahrzehnten auf der Kante steht, ganz abzustürzen oder doch nochmal Wind unter die Flügel bekommt? Das soll hier möglich sein? Ich gebe zu, ich war begeistert von dieser Aussicht und zugleich bangte ich zwischendurch ganz fürchterlich mit.
Denn soweit kenne ich einige Hoyerswerdaer Verantwortungsträger: Wer ein Haar in der Suppe finden möchte, findet immer eines. Und wenn es das eigene ist. Selbst wenn er spürt, die Suppe könnte hervorragend schmecken, legt er das Haar nicht beiseite, lässt die Suppe nicht nachwürzen und schüttet sie in den Ausguss. Er prügelt sogar auf die Köche ein. Und vergisst, dass diese sich in ihrer Freizeit hinsetzten, nicht um jemanden zu ärgern, sondern um in der visions-verarmten Neustadt neue hoffnungsvolle Bilder entstehen zu lassen.
Chance verwehrt
Als zweites müssen Sie wissen, dass man auf die Projekt-Initiative nicht erst bei der erwähnten Pressekonferenz, sondern schon auf der letzten Stadtratssitzung (ab Minute 38:10) losging wie auf einen Box-Sack von Sylvester Stone in den „Rocky“-Filmen. Und Sie müssen wissen, dass diese ehrenamtliche Projekt-Initiative nie behauptete, Ihre Idee wäre ausgereift. Allein auf sich allein gestellt, konnten sie es – in so kurzer Zeit – nie schaffen.
Mit der von der VBH beauftragten Kurzstudie gelang es ihnen nicht, diese umfassend zu überzeugen, wenngleich die VBH sehr interessiert und andere Fachexperten von Energie-, Bau- und Wohnungswirtschaft eine Wirtschaftlichkeit für sehr wahrscheinlich hielten, wenn man diese Projekt-Idee mit etwas mehr Zeit professionell weiterentwickeln würde. Wenn.
Der zentrale Punkt des Scheiterns
In der Petition, die auf der Stadtratssitzung und auf Pressekonferenz argumentativ grün und blau geprügelt wurde, bat die Initiative verständnisvoll und höflich einfach nur um mehr Zeit. Zeit, die begonnene Prüfung der Wirtschaftlichkeit und des Betriebskonzeptes zum Abschluss zu bringen.
In einer Klarstellung, die sie nach dieser verheerenden Pressekonferenz veröffentlichte, verwies sie auf den zentralen Punkt ihres Scheiterns: „Die Petenten haben allen Grund anzunehmen, dass der Fördergeld-Geber des Abrisses, die Sächsische Aufbaubank (SAB), nicht über die Option einer Alternative informiert war. Wir bedauern, dass uns keine Gelegenheit ermöglicht wurde, unsere Alternativ-Idee zum Abriss beim Fördermittel-Geber selbst vorzutragen. (…) Mit einem gemeinsamen kooperativen Willen aller Beteiligten, davon sind wir überzeugt, hätte das Hochhaus am Knie als innovatives Energiehochhaus noch gerettet werden – gemäß dem Credo unserer Stadt: „Wir lieben Ideen!“
Wie sollte der Fördermittel-Geber des Abrisses über einen Aufschub nachdenken können, wenn er nicht mal von dieser Projekt-Idee wusste? Das blanke Entsetzen brach aus als der Initiative dies klar wurde. Chance verspielt. Mich wundert das nicht. Überhaupt nicht. Kommunale Intelligenz in Hoyerswerda? Weit gefehlt.
Noch eine Grabrede auf eine Bürger-Initiative?
Warum mich das nicht wundert? Sie müssen jetzt – als letztes – wissen: Vor knapp einem Monat wurde ich gebeten für eine Vertreterin der Bürgerinitiative „Mitmachstadt Hoyerswerda“ auf einer Fachtagung als Redner einzuspringen. Ich sollte im Bürgerzentrum ein Grußwort zum 14. Engagement-Fachtag sprechen. Weil ich kein besonders guter Stegreif-Redner bin, schrieb ich das Grußwort am Schreibtisch zu Hause vor und las es am Rednerpult vor 80 Leuten ab. Und da ich wenigstens schon beim Schreiben und spätestens beim Verlesen eines gewöhnlich öden Grußwortes selbst ein bisschen Vergnügen haben wollte, nötigte ich mir und dem Publikum ab, einer ironischen Grabrede beizuwohnen. Einer Grabrede auf die einst so hochengagierte Initiative der „Mitmachstadt“, die sich in diesem Jahr auflöste, weil ihr die Puste ausging.
Die Energie-Haus-Initiative kommt mir in ihrem jammervollen Scheitern genau so vor wie die „Mitmachstadt“. Eine jener typischen Bürger-Initiativen, die am Anfang niemand bemerkt und die am Ende niemand vermisst. Nur dass die Lebensdauer der Energie-Hochhaus-Initiative nicht sechs Jahre, sondern sechs Monate anhielt.
Vision des Zusammenhalts in einer Stadt – durch Mitmachen
In diesem erwähnten Grußwort formulierte ich – zugegeben etwas klugscheißernd – fünf Lehren über das Scheitern der Bürger-Initiative „Mitmachstadt“, der ich selbst angehörte: „… die vermutliche wichtigste (ist) für die Vision des Zusammenhalts einer Stadt durch Mitmachen: Bringe so viel wie möglich und so oft wie nötig unversöhnlich-gegensätzliche Perspektiven von Anfang an in Kooperation. Schaffst du es nicht, lass die Finger davon. Die Stadtgesellschaft wimmelt von Macht-Menschen, gegen die du nur eine Chance hast, wenn du die Kunst und die List der „antagonistischen Kooperation“ anwendest. Diese Methode zielt darauf, Interessen-Egoismen zu überwinden, indem man sich durch externe Coachs dabei helfen lässt, verlorene Gemeinwohl-Vorstellungen wiederzuerwecken. Über diesen Umweg steigen die Chancen, das Unversöhnliche zu versöhnen. Vertreter und Jünger dieser sehr speziellen Kooperationsform sprechen mittlerweile vom demokratischen Katastrophenschutz. Vom heiligen Gral der Demokratie. – Auch hier erwies sich unsere Bürgerinitiative als kluger Schmuggler. Im Beteiligungsformat des Kommunalen Entwicklungsbeirats gelang genau dies. Allerdings mit einem eher harmlosen Projekt namens „Grüner Saum“.“
Naivität und Illusion
Die Energiehochhaus-Initiative hatte naiv-illusionär geglaubt, dass allen etwas an der Rettung des Hochhauses am Knie läge, und sie dafür die wichtigsten Partner zusammen hätte: Verwaltung, Wirtschaft, Stadtpolitik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft. Wie das die „Mitmachstadt“ im Projekt „Grüner Saum“ so erfolgreich initiierte.
Im Projekt „Grüner Saum“ gab es eine gemeinsame Vorstellung von Gemeinwohl. Hier war man sich einig: Man wollte die ungenutzten Abrissbrachen und Grünflächen, die das geschrumpfte Hoyerswerda umgibt und durchzieht, als Erlebnisorte für und durch die Bürgerschaft zurückerobern. Hier konnte jeder seine Eigeninteressen einer vorab genau vereinbarten Gemeinwohl-Vorstellung unterordnen.
Im Fall des Hochhauses am Knie war das von Anfang an nicht gegeben. Die Projekt-Initiative hatte es gehofft und geglaubt – die emotionale Gleichgültigkeit der Verantwortungsträger gegenüber dem Hochhaus und ihrer Alternativ-Idee aber unterschätzt. Ich denke, dass ein Akteur – die WGH – die Projektinitiative sogar von Anfang an ins Messer laufen ließ: Sie war nicht ehrlich.
Ideen-Mut zum Strukturwandel und „German Angst“
Die WGH hat machen lassen und parallel unwiderrufliche Fakten geschaffen. Von der Angst getrieben. Das verstehe ich sogar. Sie hat Hinweise der Initiative nicht wahrgenommen:
(1) Dass der Fördermittel-Geber des Abrisses natürlich von der Alternativ-Idee informiert werden musste, um ihn zu überzeugen, die Abriss-Fördermittel vielleicht zu stornieren.
(2) Dass man bei den Abriss-Verträgen natürlich Ausstiegsklauseln einbauen muss, falls die Alternative sich als wirtschaftlich herausstellt und
(3) dass man darauf achtet, die Bauhülle des Hochhauses so lange wie möglich zu erhalten und das Gebäude nicht sofort komplett platt macht.
Nichts davon wurde bedacht. Nichts. Die WGH hat ihr Eigeninteresse knallhart durchgezogen aus Angst Abriss-Fördermittel zu verlieren – ohne Rücksicht auf Optionen. Ohne Rücksicht auf die Vorstellung von Gemeinwohl, die sich im Erhalt eines solch stadtarchitektonisch bedeutsamen Gebäudes widerspiegeln könnte. Kreativität lief in das Messer von Buchhaltern. Und verängstige Buchalter flohen vor der Option einer Alternative. Und die unter Zeitdruck stehende, alleingelassene Initiative trat die Flucht nach vorne an: In eine Petition. Und so segelte man gemeinsam in ein klassisches Dilemma.
Reißt man ab, ist es Scheiße. Reißt man nicht ab, könnte es auch richtig Scheiße sein.
Mut zu eigenen innovativen Ideen im Strukturwandel und German Angst begegneten sich hier und starrten einander befremdend an. Vielleicht hätte man diesen Konflikt von Anfang an offen austragen müssen. Öffentlich. Und nicht hinter versteckten Visieren. Vielleicht sind wir zu harmonie-süchtig.
Das eigentliche Problem der Petition
Vom – aus meiner Sicht – fragwürdigen Verhalten der WGH abgesehen, gilt: Die Stadtgesellschaft hat als Ganzes versagt. Sie hat nicht organisiert, dass alle Perspektiven mal zusammen offen und einander wertschätzend zuhören. Und laut darüber nachdenken, was genau an diesem Haus so wichtig ist und was nicht. Was genau bedeutet es uns? Sie konnte es auch deshalb nicht, weil sie über ein dafür wichtigstes Instrument gar nicht verfügt: Eine professionelle Stadtplanung. Seit 35 Jahren nicht.
Machtverhältnisse haben nun über das Schicksal dieses Gebäudes entschieden. Die Macht der Intransparenz. Kein demokratisch vermittelter Diskurs. 2010 hatte die CDU-Stadtratsfraktion durch ihr Agieren dem Hochhaus 15 Jahre Luft verschafft. Eine wichtige politische Leistung. Und doch hat man diese gewonnene Zeit verschlafen und nicht genutzt. Und muss nun leider konstatieren: Die kommunale Demokratie in Hoyerswerda hat wiedermal versagt. Schuld sind alle beteiligten Perspektiven. Keine hat in den 15 Jahren den dazu notwendigen Diskurs zur rechten Zeit angestoßen. Oder vielmehr – nicht darauf bestanden. Jede hat ihr eigenes Brötchen gebacken. Und nun sind sie verbrannt.
Neue Wespen-Nester
Die Projektinitiative des Energie-Hochhauses ist mit der Stadtratssitzung und der Pressekonferenz ausgetreten worden wie eine lästiges Wespen-Nest. Sie brachte Unruhe in die üblichen Routinen schwerfälliger Verwaltungen und machte ihnen ungelegen Arbeit. So fühlte es sich für mich im Laufe der Zeit an. Wenn ich den Gesprächen des Ingenieur-Rudels über die Fortschritte der Ideenentwicklung lauschte. Wenn ich artig den Stand der Dinge protokollierte. Wenn ich demütig von den sich aufstauenden Hindernissen und Gerüchten hörte. Von Widerständen, die sich auftürmten – so hoch wie das Hochhaus am Knie selbst – als endlich die technische Projektskizze an die Stadtverwaltung, die WGH und die VBH weitergegeben wurde.
Ich fürchte, das dieses Wespen-Nest nicht die letzte Zusammenrottung von ehrenamtlich engagierten Fachexperten aus unserer Stadt sein wird, dazu lieben sie ihre widerspenstige Heimatstadt zu sehr. Ich weiß von mindestens weiteren vier Gruppen, die sich mit stadt-relevanten Themen und den ihnen dort entspringenden Konflikten beschäftigen oder – beschäftigen wollen. Aus einem tiefen Schmerz heraus, kein Gehör, kein Verständnis, keine Kooperationsbereitschaft für ihre Ideen und Vorschläge zu finden. Entweder bei der Stadtverwaltung nicht oder beim Stadtrat nicht oder bei beiden nicht.
Anbahnung von Konflikten früher transparent machen
Wenn wir uns gegenseitig nicht als Wespennester und Wespennest-Killer wahrnehmen wollen, sollten wir was ändern. Wir sollten den Diskurs über Themen, in denen sich Konflikte anbahnen, früher transparent machen, ihn rechtzeitiger beginnen und ihn anders organisieren.
Ich bin ein älterer Zuzügler über 60, abgebrüht und vergnügt genug, um mit Scheitern entspannt umzugehen. Was mich allerdings des öfteren beschämt, sind manche meiner Geschlechtsgenossen. Lustlose männliche Verantwortungsträger, die in einem eigentümlichen Mix aus Selbstgefälligkeit und Schadenfreude, die Hände tief in ihren Hosentaschen lassen, statt sie herauszuziehen und sich für das Ermöglichen von streitbarem Engagement einzusetzen. Kommunale Intelligenz und Potenzialentfaltung fühlt sich jedenfalls anders an. Vor allem wenn eine Kommune vollmundig mit dem Slogan „Wir lieben Ideen“ wirbt. Das reicht nicht. Man muss Ideen auch leben wollen.
Ins Schmuggler-Geschäft wechseln.
In meiner Grabrede auf die „Mitmachstadt Hoyerswerda“ fiel mir übrigens eine andere Lehre ein, die Trost spenden könnte: „Wenn du spürst, die Zeit für deine Vision ist zu früh oder zu spät oder vorbei, wechsle das Geschäft: Werde Schmuggler. – Schmuggle deine Vision dort ein, wo sie weiterleben kann, wo sie besser aufgehoben ist, wo sie größere Chancen hat, zu überwintern.“
Ich denke genau das wird diese gescheiterte Initiative jetzt auch tun.