ZEITENWENDE IN HOYERSWERDA: Gibt es eine Alternative zur Schrumpfung? (1/3)

Ich besuche die 2. Planwerkstatt zum Gesamtstädtischen und regionalen Entwicklungs- und Handlungskonzept (GeREHK) und mache ein paar Tonaufnahmen mit dem Smartphone. Ich wusste, dass hier kluges Zeug geredet wird.

Pfannkuchen und Hardcore-Aufklärung
11.11., Montagabend. Café Auszeit im Bürgerzentrum. Vor der Tür steht ein Getränketisch mit einer Palette Pfannkuchen. Der Zuckerguss klebt uns noch in den Mundwinkeln. Nico Neumann, einer der beiden externen Fach-Leiter des GeREHK*-Prozesses, konfrontiert uns ca. 50 anwesende Bürger mit knallharten Fakten zu unserer Heimatstadt.

Die erste Fakten-Granate: Überschüssige Wohnungen
Nico Neumann rechnete unter der Voraussetzung man denkt vom jetzigen Ist-Stand die demographische Entwicklung in Hoyerswerda linear weiter: „In den nächsten zehn Jahren werden die heute 78-jährigen ihre Wohnung altersbedingt aufgeben. Andererseits wir haben die 12- bis 22-jährigen, die anfangen werden eine Familie zu gründen. Wenn sie hierbleiben. Allein daraus ergibt sich ein Minus von 3.000. Ein Hinweis, wir haben 20.000 Wohnungen in der Stadt. 3.000 Menschen weniger, das könnte ein Problem am Wohnungsmarkt werden.“

Die zweite Fakten-Granate: 30-40% weniger Arbeitskräfte
Auch bezüglich der Erwerbstätigen von Hoyerswerda rechnet Nico Neumann „linear“ weiter: „Ähnlich ist es am Arbeitsmarkt. Wir haben die Boomer-Generation, die in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen. Gleichzeitig haben wir einen sehr, sehr geringen Anteil von jungen Menschen zwischen 8 und 18, die in den nächsten Jahren am Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Hier steht uns ein Minus von 4.000 bevor. Wenn man weiß, dass wir derzeit 17.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter haben, dann ist das ein Minus von 30 bis 40%.“

Das Fachkräfte-Paradoxon
Weiter mit Nico Neumann: „Bisher hieß Anpassung an den demographischen Wandel, die Stadtstruktur anpassen und schrumpfen lassen. Das ist normal und üblich, wenn wir keine Perspektive haben. Hier war Hoyerswerda in den letzten Jahrzehnten gefordert und hat die Aufgabe gut gelöst.“
„Aber jetzt glauben wir an einem Punkt zu sein, dass wir mit dem durch den Kohleausstieg bedingten Strukturwandel eine Chance haben, die wir sonst nicht gehabt hätten. Durch eine mit Fördermitteln und mit Aufmerksamkeit forcierte wirtschaftliche Entwicklung in der Region können wir neue Impulse setzen. Und da ist der Schlüsselbegriff: Die Fachkräfte.“
„Auf der einen Seite haben wir demographisch eine deutliche Abnahme von Fachkräften. Auf der anderen Seite haben wir aber massive Anforderungen. Durch den Strukturwandel, durch die neu entstehende Arbeitsplätze müssen wir Fachkräfte in die Region bekommen, die wir aus eigener Kraft nicht decken können.“

Stadtentwicklung – das entscheidende Thema
Der uns beratende Fach-Experte Nico Neumann schlussfolgert unaufgeregt:
„Das heißt, wir werden zukunftsfähige Arbeitsplätze haben. Aber wir brauchen dafür Zuwanderung. Und diese Menschen werden zeitgemäße Wohn- und Lebensqualitäten von uns fordern. Die werden nicht zu uns kommen, weil wir gute Arbeitsplätze haben, die sind inzwischen in der gesamten Republik gefragt. Sie werden nur zu uns kommen, wenn wir ihnen besondere Lebensbedingungen anbieten können. Und das müssen wir gestalten. Das wird die Hauptaufgabe sein. Und deswegen ist Stadtentwicklung im Kontext von Zuwanderung das entscheidende Thema für die nächsten Jahre.“

Neues strategisches Denken
Neumann schenkt uns „Schrumpfungs-Gequälten“ eine uns alle sehr herausfordende Aussicht:
„Wir müssen umdenken. Weg von der Schrumpfung als Anpassungsstrategie hinzu qualitativer Entwicklung für künftige Bedarfe. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir dieses Umdenken in der Stadtentwicklung für Hoyerswerda brauchen.“
Damit umreißt Neumann die zentrale Frage, vor die nunmehr unsere Stadtpolitik – Verwaltung, Stadtrat, interessierte und engagierte Bürger – stehen:
Wie richten wir – kooperativ – unsere Stadtentwicklung so aus, dass (1) unsere jungen Altersgruppen in der Stadt bleiben, dass (2) „bekehrte“ Abgewanderte wieder in unsere Stadt zurückkehren und dass wir (3) überregional Neubürger gewinnen? Was muss passieren, damit uns das gelingt?

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