Gesellschaftsvertrags-Ideen oder Leben in Parallelwelten?
Einmal hab ich sie als den „Gesellschaftsvertrag von Hoyerswerda“ bezeichnet; als den Amboss und den Hammer, mitttels derer die Zukunft der Stadt geschmiedet wird: Das Leitbild “Hoyerswerda 2030“ und sein Handlungsprogramm, der uns hoyerswerdschen Bürgern Peilung geben könnten. Könnten. Entstanden sind diese beiden zusammengehörenden Stadt-Dokumente – vergessen wir das nicht – nach massiven Protesten der Bürger über die Abrisspläne im Stadtentwicklungskonzept (SEKO) im Jahre 2015. Der Oberbürgermeister, emotional ziemlich mitgenommen vom Protest, gab daraufhin das alte Leitbild nochmals zur Überarbeitung frei.
Selbst neu in der Stadt und neugierig umher schnüffelnd, erlebte ich 2016/17, vier Bürgerversammlungen, auch „Stadtwerkstatt“ genannt, in denen das Leitbild diskutiert wurde. Am Ende legte eine Redaktionsgruppe den überarbeiteten Entwurf vom „Leitbild 2030“ vor, den der Stadtrat am 26.September 2017 mehrheitlich verabschiedete, mit einigen trotzigen Gegenstimmen aus der CDU. Rasch darauf folgte der zweite Wurf: das dazugehörige Handlungsprogramm. Geplante Maßnahmen der städtischen Unternehmen und Verwaltungs-Fachbereiche wurden eingesammelt, nach der neuen Leitbild-Perspektive tabellarisch sortiert und als „Handlungsprogramm“ präsentiert. Wer wollte, konnte nun nachlesen, welche zukunftsrelevanten Projekte in der Stadt angedacht und geplant waren. Am 15. November 2017 gab es dazu wieder eine Stadtwerkstatt mit den Bürgern. Doch wurde hier sichtbar, woran es diesem Dokument mangelte: Es wirkte in seiner Skizzenhaftigkeit „unsexy“, lieblos, schwer verständlich. Kurz: Öde. Kein Drehbuch der Zukunft, sondern ein stichpunkthaft-vages Versprechen der Verwaltung an sich selbst. Der Bürger und seine wuchernd-lustvollen Gestaltungsideen fanden in dem Dokument nicht statt. Weder sickerten sie über die Stadtparteien und Stadträte ins Handlungsprogramm noch durch das Sieb der Verwaltung. Kein Funke war entzündet worden. Weder von der Stadtpolitik in Richtung Bürgerschaft noch umgekehrt. Als koexistierten hier zwei Parallelgesellschaften. Jede in ihrer eigenen entweder trocken-amtsdeutschen oder hitzig-grummelnden Sprache. Der Schlag des Hammers auf den Amboss: Papier-Geraschel. Kein edler Klang, wie im Brian-Hegeland-Film „Ritter aus Leidenschaft“ als die bildhübsche Schmiedin Kate dem talentierten Scharlatan William Thatcher seine Rüstung schmiedete, damit der gegen echte Adlige in die Arena ziehen konnte.
Vonseiten der Bürgerschaft hörte man dann dann im Juni dieses Jahres. Die Macher des Kunstprojektes „Eine Stadt tanzt: Manifest!“ hatten die in der Stadt umhergeisternde Bürgerideen zusammengefegt und schütteten sie im Tanzfinale mit großer Geste und in Verwurstung von „Goethes Zauberlehrling“ eimerweise über das begeisterte Publikum aus. Weihnachtlich ausgedrückt: ein von den Bürgern geschriebenes Wunschbüchlein der Bürger… an den Weihnachtsmann? Das Jahr strampelte seine noch verbleibenden Monate runter. Man hörte weder von der angekündigten Überarbeitung des Handlungsprogramms noch von Reaktionen auf die Vorschläge des Kunstprojektes seitens der Stadtpolitik. Parallelgesellschaften eben. Der „Gesellschaftsvertrag von Hoyerswerda“ vergessen? Dornröschen schläft weiter?
Es folgte der 28. November 2018: Stadtwerkstatt zum Handlungsprogramm! Ich selbst bin nicht in der Stadt und horche mich nachträglich um. „An vier Tischen wurden die Maßnahmenlisten durchgegangen und abgehakt, was läuft und was nicht“, berichtet mir eine kompetente Zeugin. „Ich weiß auch nicht so richtig… es ist nicht verkehrt… aber es fehlt der übergreifende, mitreißende Fokus; es fehlt das Gemeinschaftsgefühl.“ Auf der Website der Stadt – nichts. In der Zeitung – nichts. Stattdessen lese ich von einem neuen Instrument der Bürgerbeteiligung: dem Bürgerhaushalt. Bis 11.Januar 2019 dürfen die Bürger nun Vorschläge einreichen zur Verwendung von immerhin 140.000 Euro für das Jahr 2019. Vom 1. bis 20. Februar. darf der Bürger dann wählen. Drei Stimmen kann er vergeben – verteilt auf einen, auf zwei oder auf drei Vorschläge. Die gewählte Vorschlagsliste wird dann am 26. Februar vom Stadtrat als Bürgerhaushalt 2019 verabschiedet. Danach dürfen von der Verwaltung die Aufträge zur Ausführung vergeben werden. Mit einer gewissen Nüchternheit, ganz ins Beobachten zurückgezogen, warte ich nun gespannt auf den Ausgang. Wird dieser Funke zünden? Was meinen Sie? Ich sag’s mal so: Der „Gesellschaftsvertrag“ zwischen Stadtpolitik und Bürgerschaft ist unser aller Superspiegel. Er zeigt uns und Fremden schonungslos, wer wir sind und was wir als Stadtgesellschaft vermögen zu tun. Für uns selbst – oder eben nicht.
(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 08./09.12.18)