Eine Facebook-Diskussion zu meinem Beitrag um die Bewerbung der Stadt zur Landesgartenschau 2025 fokussiert das Thema auf die Rolle der Stadträte. Protokoll eines Diskurses in drei Akten.
1. Akt: Vorgeplänkel
SK (ein Lokaljournalist): Beim Stadtrat zum Thema haben das die Vertreter der Firma KEM (machen den Antrag bereit) wie folgt erklärt: Die Laga-Jury setzt auf eine große, zentrale Fläche für die Laga. Viele kleine, oder auch ein Band durch die Stadt, hat ihnen zufolge keine Chance. Sowohl wir von der LR als auch die Kollegen von SZ/Tageblatt haben groß darüber berichtet, wieso der Gondelteich (+ Bereich Südstraße) für die KEM die größten Erfolgsaussichten hat.
Allerdings hinter der Bezahlschranke. P.S.: Die KEM-Präsentation müsstest Du im Ratsinfosystem der Stadt finden. Passend zum Juni-Stadtrat.
OW: Es ändert nichts daran, ob ich persönlich informierter bin. Das Problem ist für mich grundlegender. Ich habe durchaus Verständnis für das praktizierte politische „Führungs-Eliten-Modell“, wo Gruppen diese Dinge unter sich aushandeln – wie es hier ja der Fall war. Und doch ist mir mittlerweile mehr als unbehaglich dabei.
Warum?
Die Vorschläge des „Führungs-Eliten-Modells“ müssen bei der Präsentation des Resultats zwingend als „alternativlos“ erscheinen, weil der vorgelagerte Abwägungs- und Entscheidungsprozess „prozess-bedingt“ intransparent im ganz oder halbgeschlossenen Raum blieb. Die Presse berichtet darüber eventuell, diese Informationen filternd und hinter einer Paywall verkaufend. Somit beruht irgendwie alles nur noch auf „Vertrauen“. Und dennoch fühle ich mich entmündigt.
Das Gegen-Modell wäre ein strukturell gerantiertes, öffentliches Debatten- und Diskurs-Modell, das die Zeit, die es braucht, garantiert. Das kann sehr anstrengend sein, das ist mir klar. Weil a) jede Perspektive zum Zuge kommen muss und b) man sich dann auch noch wertschätzend einigen muss. Das setzt jedoch voraus, dass Prozesse nicht nur rechtzeitig gestartet werden müssen (was hier ganz offensichtlich sträflichst verpasst wurde). Es bedeutet auch, dass jeder Bürger, jede Perspektive, Zugang erhält zu den relevanten Quellen-Sachverhalten.
Gemäß des Voltaire-Satzes, den ich hier mal abwandle: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass sie Zugang zu allen relevanten Fakten bekommen, die sie für Ihre Meinungs-Bildung benötigen.“
SK: Zu einem Fakt: Ja. Und zwar zu dem, dass das eine zunächst einsame Entscheidung der Stadtpolitik war, den Prozess zu starten. Zum entmündigt fühlen: Das kann ich nicht nachvollziehen. Du kannst Medien nutzen – ja, das ist nicht kostenlos – Du kannst aber auch Deine Stadträte fragen. Das ist kostenlos und nicht umsonst. Aber jetzt klagen, Dir hätte niemand etwas erklärt – tut mir leid: Das kann ich schwer nachvollziehen.
OW: Ich klage nicht für mich. Ich gebe die Stimmung meines Umfeldes wieder. Und versuche sie mir zu erklären. Das Problem als mein rein subjektives abzutun ist aus meiner Sicht naiv und verfehlt hier den entscheidenden Punkt. Und zwar um Kilometerweite.
SK: Das hattest Du nicht gesagt, dass Du die Stimmung Deines Umfeldes wiedergibst. Entschuldige bitte meine Fehleinschätzung.
RB (ein Stadtrat): Ich verwahre mich gegen den Begriff Eliten-Modell. Die Vorstellung der KEM war im Juni öffentlich im von den BÜRGERN gewählten Stadtrat. Die Entscheidung des technischen Ausschusses im Juli fand im öffentlichen Teil statt. Hinzu kommt mal die Bemerkung von mir: Der Stadtrat wurde von den Bürgern gewählt und besteht aus Bürgern der Stadt. Diese kann man jederzeit auch kontaktieren. Zweite Bemerkung: Wer regional informiert sein will, sollte sich ein Abo einer Tageszeitung zulegen. Dann muss man auch nicht immer auf die Bezahlschranke verweisen.
2. Akt: Duell
OW: Nimm den Begriff „Elite“ nicht emotional und folge auch bitte nicht der nicht untypisch linken Neigung ihn gleich „ideologisch“ aufzufassen, sondern schau ihn dir von der Sache her an: 1. „Elite“ ist eine „auserlesene“ Gruppe (eligere = auslesen) die strukturell bedingt einen exklusiven Zugang zu Daten und Informationen hat, die ein „Durchschnittsbürger“ nicht hat. Und die dieser nur mit größerem oder größtem zeitlichen Aufwand erlangen kann. (Bitte nicht mit Deinem Totschlag-Argumenten-Knüppel um dich schwingen: Kannst doch anrufen, kannst doch hingehen, kannst doch fragen!) Ihr ehrenamtlichen Stadträte seid aus „soziologischer“ Perspektive eine kleinstädtische politische „Funktions-Elite“. Nochmal: nimm’s nicht so emotional. Ich „verbeispiele“ das jetzt mal:
a) Allein die Information, wo was wann stattfindet, ist eine „auserlesene“ Information. Die Papiere und Fakten, die ihr per Post oder Mail „automatisch“ auf den Tisch bekommt (qua „Funktions-Eliten“-Status) sind ebenfalls „auserlesene“ Daten. Zugang zu Protokollen, Präsentationen, Konzepten, Basis-Daten zu Grundstücken usw usf. – alles auserlesene Daten, die euch zur Verfügung gestellt werden.
b) Daten, von denen ein (auch höher gebildeter) „Durchschnittsbürger“ nicht mal weiß, dass es sie überhaupt gibt.
c) Daten, die für ihn nicht so einfach aufbereitet und eingestellt sind, so dass er sie auch ohne größeren (und vor allem nicht demotivierenden) Beschaffungs-Aufwand zum Sach-Studium sich aneignen könnte.
2. Wer sich regional informieren möchte, aber nur über ein äußerst geringes Einkommen verfügt, kann sich Daten a la paywall nicht kaufen (ich werde gleich wütend!)
3. Hast du dich als linker Kommunalpolitiker schon mal in die Themen Open Data, digitale Verwaltung und Open Government KONKRET vertieft?
4. Beschäftigst du dich als linker Kommunalpolitiker mit der Krise der repräsentativen Demokratie und ihren KONKRETEN lokalen Erscheinungsformen? Stichwort Attraktivität der AfD im ländlichen Raum usw. usf.
5. Bist du informiert über das Thema moderner kommunaler Bürgerpartizipation-Modelle und ihrer technischen wie strukturellen Voraussetzungen?
6. Bleib bitte auf der Sachebene.
RB: Mann oh Mann……. da hast du ja jetzt richtig tief in die Kiste gegeriffen. Ja ich habe mich schon mit den genannten Themen beschäftigt. Gegenfrage weißt du was das ALLRIS ist?
OW: Oja, und ich kotze jedes mal ab über sein Präsentation-Layout. Das wäre ein Spermien des Open Data.
RB: Na dann hast du ja Zugriff zu alle öffentlichen Daten der Kommunalpolitik. Gibt es übrigens auch vom Landkreis.
OW: Hör auf mit dieser „subjektivierenden“ Totschlag-Argumentations-Technik! Schon mal was von nutzerfreundlicher Daten-Präsentation und Aufbereitung gehört? Oder nennen wir gleich das Problem-Thema beim Namen: „Daten-Monotoring“
RB: Das ändern wir jetzt nicht. Es geht um die Möglichkeit der Information.
OW: Ja, es geht um die motivierende Ermächtigung zu (sagen wir es soziologisch) partizipativer Kompetenz. Es geht darum, dass mögliche (potentielle) Daten-Nutzung sich auch in wirkliche Daten-Nutzung verwandelt. Und es geht darum, dass dafür technische und rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Und es geht darum, dass dein permanentes „Subjektivieren“ am eigentlich objektiven Kern des Problems vorbei argumentiert.
RB: Noch mal auf deutsch bitte. Manchmal kann ich dir nicht folgen. Objektiv kann sich jeder Bürger viel mehr Infos besorgen als er es im Moment macht. Kommunikation ist keine Einbahnstraße.
OW: Objektiv besorgt sich der Bürger die relevanten Informationen nicht, weil sie
1) schlecht aufbereitet sind,
2) die kommunalpolitische Funktionselite (=Stadtrat) das nicht ändert und die technischen und rechtlichen Bedingungen dafür nicht so verbessert, dass man damit effizient und partnerschaftlich arbeiten kann, sie
3) herumjammert, dass sich kaum jemand für ihre vorsintflutliche Kommunikationskultur/Arbeitsweise in ihrer altmodischen Filterblase interessiert und sie
4) nicht erkennt, dass der Entfremdungsprozess zum Bürger sich sogar noch vertiefen wird, wenn sie sich nicht schleunigst darum kümmert, den Bürger Sachkompetenz zu verschaffen statt ihm ständig (wie du hier in meiner Person) die Schuld zu geben, er könne es ja, tue es aber nicht.
Ich fange an, dir das langsam übel zu nehmen. Hör bitte auf damit.
Sieben Stunden später macht es „Klick“ bei mir. Und der eigentliche Kern dessen, was ich eigentlich meine, fällt mir ein.
3. Akt: „Erleuchtung“
OW: Im übrigen bringt deine Haltung: „ich bin informiert – ihr Bürger könnt das auch, wenn ihr wollt“ genau die fatale (Entfremdungs-) Lücke zum Ausdruck, die ich meine.
Der Stadtrat ist qua Status der „Besser-Informierte“ und ruht sich passiv auf seinem Wissensvorsprung aus, anstatt sich aktiv darum zu kümmern, dass dieser Vorsprung so schnell wie möglich aufgehoben wird. Und ihr Euer auserlesenes („Eliten“-)Wissen umgehend beendet. Ich persönlich würde die Stadträte und die Fraktionen zu schnell arbeitenden Informationsteams umbauen. Und die Stadtverwaltung müsste euch dabei technisch und logistisch helfen. Und wenn nicht, dann müsst/dürft ihr das gern einfordern. Volksvertreter heißt für mich in erster Linie Informations-Vertreter, Transparenz-Arbeiter zu sein, der von vornherein darauf aus ist Kontakt zur Bürgerexpertise zu suchen und sich NICHT anmaßt meine spezielle Expertise-Fähigkeit zu vertreten. Wie sollte er auch? Ladet ihr zu themenspezifischen Informationsrunden ein? Z.B. zur LAGA? Müsste es nicht so sein, das IHR UNS „Durchschnittsbürger“ befragen müsstet? Dass ihr uns schlau macht und dann fragt, was haltet her von dem und dem Sachverhalt?Verstehste wie die ganze Sache auf dem Kopf steht und ihr mal die Füße auf den Boden kriegen solltet. Dorthin wo wir „Durchschnittsbürger“ die ganze Zeit unsere Füße haben.
Und um das noch zuzuspitzen: Warum habt ihr Stadträte keine eigene (parteiübergreifende) Facebook-Gruppe, wo ihr uns informiert und ansprecht? Eine Frau mit starker körperlicher Behinderung und ausgeprägter LRS-Schwäche hat vor über einem Jahr eine Gruppe gegründet (Kommunalpolitik Hoyerswerda -parteiübergreifend)*, und hat euch „gestisch“ darauf hingewiesen, dass hier ein grundlegendes Informationsbedürfnis nicht erfüllt wird. Macht endlich etwas draus!
RB: Ich spitze es jetzt auch mal zu. Hast du sonst noch irgend welche Aufgaben für die ehrenamtlichen Stadträte?
OW: Ich denke, es genügt, sich darauf zu fokussieren.
Quelle: siehe Thread zum entsprechenden Beitrag am 04./05.08.20.
*Als diese im März 2019 gegründete Gruppe sich – von der Administratorin überfordert – regellos in ideologische Grabenkämpfe zerfaserte – gründete ich im September 2019 die Gruppe „Ideen für Hoyerswerda“, ein „reines“ Ideen-Forum, das diese Grabenkämpfe ausschloss. Als Reaktion auf die immer noch zerstrittene erste Gruppe gründete sich im März 2020 eine zweite Gruppe – die „Kommunalpolitische Diskussion Hoyerswerda“. Hier geht es nach einem moderater und gesitteter um.