Anatomie eines Gegenangriffs

Die AfD will den Kampf gegen die Klimaschutzpolitik zum Topthema machen. Ich stelle eine Frage und gerate unter Beschuss eines Hoyerswerda AfD-Stadtrats. Ein Protokoll und eine Analyse.

I. Das Gesprächs-Protokoll

OW: Was wenn die AfD irrt? Was wenn es falsch ist, den Braunkohle-Ausstieg zu verhindern?

AfD-Stadtrat: Was wenn nicht?

OW: Über einen Abwägungsprozess (Vorteile vs. Nachteile) hörte ich bislang nix von der AfD. Nur ein rigoroses DAGEGEN.

AfD-Stadtrat: Es geht nicht darum ob, sondern wann aus der Kohleverstromung ausgestiegen wird. Es ist zu früh und völlig unkontrolliert, auch wenn es die Altparteien anders darstellen wollen.

OW: 1. Welche Argumente stehen für ein „zu früh“? Und welche Argumente stehen für ein „Jetzt“? 2. Wann genau wäre für die AfD der richtige Zeitpunkt für einen Ausstieg?

AfD-Stadtrat: Wir müssen solange auf die Kohle setzen bis entsprechende Speichertechnologie entwickelt und serienreif ist, wir eine gute Infrastruktur und genügend alternative Energien haben, welche die Netzstabilität gewährleisten können und vor allem neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. All dies ist noch nicht der Fall und wird es auch noch nicht bis 2038 sein. Professoren der BTU-Cottbus sehen dies übrigens genauso. Professor Schwarz vom Fachgebiet Energieverteilung und Hochspannungstechnik der BTU hat ebenfalls erhebliche Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Stromnetzes. Schon jetzt wird es knapp mit dem Strom. Allein im letzten Jahr habe er 78 fälle gezählt, in denen in größeren Betrieben der Strom zwangsabgeschaltet werden musste, damit das Netz stabil blieb. Für Schwarz können die Pläne der Kohlekommission nicht funktionieren. Professor Georg Möhlenkamp vom Lehrstuhl Leistungselektronik und Antriebssysteme, welche sich überwiegend mit dem Thema Energiespeicher befasst hat, kommt zu dem Schluss, dass auch Batteriespeicher und Pumpspeicherkraftwerke bei längere Dunkelflaute nicht ausreichen würden. Auch für die ausreichende Etablierung von Gaskraftwerken werden Jahre ins Land gehen. All dies sind Faktoren, welche keine Beachtung finden. Ein vorzeitiger Kohleausstieg, ohne brauchbare Alternativen, würde bewirken, dass wir teuren Strom aus Frankreich, Tschechischen oder Polen kaufen müssten, welche selber ihren Strom aus Atom und Kohle gewinnen. Wer den Unsinn bei der ganzen Sache nicht erkennt, dem ist nicht zu helfen. Die „erneuerbaren“ Energie sind aufgrund ihrer immanenten Schwächen nur in der Lage ca. 22% des Energiebedarfes zu decken. Bei ungünstigen Bedingungen sogar nur 0-3%.  Einem Artikel der ,,Welt’’ zufolge ist zu erwarten, dass der Kohleausstieg den Großhandelspreis für Strom um mindestens 30-50% erhöhen wird. Dies würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit vieler Branchen akut bedrohen. Deutschland ist heute schon das Land mit dem höchsten Strompreis in Europa.
Wir stehen für einen gesunden Energiemix und nicht für überstürzte Projekte, die den Wohlstand unserer Region und unseres Landes vernichten. „Ausstieg“ ja, aber nicht 2038!

OW: Fein. … nennen Sie bitte noch die Dokumenten-Quellen, damit man Ihre Argumente auch glaubhaft nachvollziehen kann.

AfD-Stadtrat: Alle Zahlen, welche ich verwendet habe, sind mit einem Klick im Internet zu finden. Die Namen der Professoren von der Uni in Cottbus können Sie auch googeln. Was wollen Sie da für Quellen. Haben Sie bei jedem Zeitungsartikel oder Artikel in einer Fachzeitung unten eine 10 Zeilen langes Quellenverzeichnis? 
Alle Zahlen und Namen sind, der Technik sei dank, ohne große Schwierigkeiten nachzuprüfen. Sollten Sie dies wollen, tun Sie dies. Sollten Sie mir Falschangaben nachweisen können, dann lasse ich mich gerne eines Besseren belehren. Eine schönen Sonntag, werter Herr Winkler.

OW: Ich werde das prüfen lassen. Als überzeugter Anhänger einer sachlichen Diskussion.

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II. Eine rhetorische Analyse

Ich schreibe eine Mail an zwei Leute, die mir helfen könnten, die Argumente zu checken. Eine Analyse in sieben Bemerkungen.

EINSWas ist Prämisse, von die der AfD-Stadtrat ausgeht:

„Es geht nicht darum ob, sondern wann aus der Kohleverstromung ausgestiegen wird. Es ist zu früh und völlig unkontrolliert, auch wenn es die Altparteien anders darstellen wollen.

Die Argumentation stellt den Kohleausstieg also nicht generell in Frage,
Ich schlussfolgere: Das CO2-Problem ist für der AfD-Stadtrat nicht akut. Wir können weiter auf die Kohle setzen. Dieser Prämisse mit dem Argument zu begegnen, dass der Globus unter einem akuten CO2-Problem leidet, ist unergiebig wie ich bereits oft erlebt habe. Es ist wie Wasser in ein Fass ohne Boden zu schütten. Es löst in der Regel eine Sintflut von gegensätzlichen Wissenschaft-Argumente aus. Bis zum Abwinken. Bis zum Ertrinken. Der Diskurs wird damit rhetorisch in einen „Glaubenskrieg“ verschoben. Ich schreibe das meinen Leuten. Dennoch weisen sie auf eine
Stellungnahme von Volker Quasching hin, werfen mir aber besorgt einen Rettungsring zu, um bei derlei „Fakten-Ausweich- und Anzweifel“-Diskussionen nicht den Verstand zu verlieren.

ZWEIWelche Conclusio (Schlussfolgerung) zieht der AfD-Stadtrat aus seiner rhetorisch eingeführten Prämisse?

„Wir müssen solange auf die Kohle setzen bis (1) wir eine gute Infrastruktur und (2) genügend alternative Energien haben, welche die Netzstabilität gewährleisten können und vor allem (3) neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. All dies ist noch nicht der Fall und wird es auch noch nicht bis 2038 sein.“

Meine Leute schreiben, der Stadtrat argumentiere mit der logischen Figur des „Entweder-Oder“ und des „Erst-dann“. Er lasse die Argumentationsfiguren des „Sowohl-als-auch“ sowie des „das-Eine-und- das-andere“ (= das „zugleich“) nicht zu. Dadurch verschiebe er die dringend anstehende Transformation auf den Sankt-Nimmerleinstag. Sie weisen mich auf das Experten-Interview „Die Puzzleteile liegen auf dem Tisch“ hin. Hier werde die logische Argumentations-Figur des „Entweder-Oder“ und des „Erst-Dann“ de facto entkräftet.

DREI Der AfD-Stadtrat fokussiert auf des Argument „mangelnde Leistungsfähigkeit des bestehenden Stromnetzes“.

Er verwendet das Argumentum ad verecundiam (Autoritätsbeweis), jedoch ohne Quellenbeleg, eigentlich eine Akusmata:

„Professoren der BTU-Cottbus sehen dies übrigens genauso. Professor Schwarz vom Fachgebiet Energieverteilung und Hochspannungstechnik der BTU hat ebenfalls erhebliche Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Stromnetzes. Schon jetzt wird es knapp mit dem Strom. Allein im letzten Jahr habe er 78 fälle gezählt, in denen in größeren Betrieben der Strom zwangsabgeschaltet werden musste, damit das Netz stabil blieb.“ (Keine Quellenangabe, nix mit Netz zu finden) Für Schwarz können die Pläne der Kohlekommission nicht funktionieren.“

Hier weisen mich meine Leuten auf einen heiklen Umstand hin: Aufgrund der chronischen Unterfinanzierung der BTU Cottbus würden diese BTU-Professoren ihre Unabhängigkeit verlieren, da sie ihre Drittmittel ausgerechnet bei der LEAG eingeworben haben. Damit würden sie aber in eine Loyalitäts- und Interessen-Bindung zur Braunkohle-Industrie (LEAG) geraten. Einer meiner Berater schreibt: „Hier kann ich Dich aber mit internen Personen bekannt machen, die darüber Bescheid wissen.“

VIER Der AfD-Stadtrat fokussiert auf das Argument „Speichertechnologie“.

Wieder arbeitet er mit der Argumentum ad verecundiam (Autoritätsbeweis). Wieder ohne Quellenbeleg, also eigentlich eine Akusmata. Und er verwendet die Amplificatio, um den Sachverhalt auf einen Nebenschauplatz zu lenken. Eine Falle?

„Professor Georg Möhlenkamp vom Lehrstuhl Leistungselektronik und Antriebssysteme, welche sich überwiegend mit dem Thema Energiespeicher befasst hat, kommt zu dem Schluss, dass auch Batteriespeicher und Pumpspeicherkraftwerke bei längere Dunkelflaute nicht ausreichen würden. Auch für die ausreichende Etablierung von Gaskraftwerken (Wieso eigentlich Gaskraftwerke? OW) werden Jahre ins Land gehen.“  

Meine Leute wenden ein: Hier wird zum einen zu sehr fokussiert auf die Speichertechnologie als ausschließliche Lösung. Zum anderen wird unterschlagen, dass es bereits funktionierende Brückentechnologien hin zu Lösung des Problems der Speichertechnik gibt. Sie schicken mir dazu vier Links:
Energiespeicher – Forschung für die Energiewende
Die Energiewendespeicher
Speichertechnologien
Erneuerbare Energien integrieren – Versorgungssicherheit gewährleisten

FÜNF – Der AfD-Stadtrat schließt mit einer (induktiven) CONCLUSIO

„All dies sind Faktoren, welche keine Beachtung finden. (Unterstellungargumentum ad hominem) Ein vorzeitiger Kohleausstieg, ohne brauchbare Alternativen, würde bewirken, dass wir (1) teuren Strom aus Frankreich, Tschechischen oder Polen kaufen müssten, welche selber ihren Strom aus Atom und Kohle gewinnen. Wer den Unsinn bei der ganzen Sache nicht erkennt, dem ist nicht zu helfen. (Argumentum ad personam) (2) Die „erneuerbaren“ Energie sind aufgrund ihrer immanenten Schwächen nur in der Lage ca. 22% des Energiebedarfes zu decken. Bei ungünstigen Bedingungen sogar nur 0-3%. (Tatsachenbehauptung ohne Beleg) Einem Artikel der ,,Welt’’ zufolge ist zu erwarten, dass der Kohleausstieg den Großhandelspreis für Strom um mindestens 30-50% erhöhen wird. (Autoritätsbeweis ohne Quellen-Angabe) Dies würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit vieler Branchen akut bedrohen. Deutschland ist heute schon das Land mit dem höchsten Strompreis in Europa. (Verwendung des rhetorischen Arguments Cum hoc ergo propter hocScheinkausalität)

SECHS – Der AfD-Stadtrat vollendet seinen Vortrag mit der semantischen Redefigur der Klimax:

„Wir stehen für einen gesunden Energiemix und nicht für überstürzte Projekte, die den Wohlstand unserer Region und unseres Landes vernichten. „Ausstieg“ ja, aber nicht 2038!“

SIEBEN Ein Nachtrag.

Mein Nörgeln, dass er keine Quellen angegeben habe, kehrt er um. Und lastet mir die Beweispflicht an:

„Was wollen Sie da für Quellen. Haben Sie bei jedem Zeitungsartikel oder Artikel in einer Fachzeitung unten eine 10 Zeilen langes Quellenverzeichnis? Alle Zahlen und Namen sind, der Technik sei dank, ohne große Schwierigkeiten nachzuprüfen. Sollten Sie dies wollen, tun Sie dies. Sollten Sie mir Falschangaben nachweisen können, dann lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.“

Ich poste den Link und verziere ihn noch etwas: „Herr Stadtrat, um es kurz und knapp zu sagen, die Prüfung Ihres Vortrages ergab: Sie argumentieren mit einem unerbittlichen, ja dramatischen „Entweder-Oder“/„Erst-dann“ und lassen das Sprechen über ein „Sowohl-als-auch“/„das-Eine-UND-das-andere“ gar erst nicht zu. Sie beharren auf einem energischen „Dagegen“ und verschieben den selbst zugestandenen Kohle-Ausstieg damit auf den Sankt-Nimmerleinstag. Und genau dieses Datum könnte zu spät sein. Was die (mühselige) Prüfung ihrer einzelnen Argumente ergab, können Sie’s gern hier nachlesen (Link).“

(Aus einer Diskussion, geführt in der Facebook-Gruppe „Kommunalpolitik Hoyerswerda – Parteiübergreifend“, am 29/30.09.19)