Hoyerswerda plant eine neue Kampagne für sich selbst. Der Ansatz klingt vielversprechend.
Upps! Ich war ziemlich überrascht als ich vor elf Tagen von einem Kollegen hörte, dass das Stadtmarketing in Hoyerswerda auf vollkommen neue Füße gestellt wird. Seit ich hier lebe, bin ich Zeuge schier endloser Klagen, wie schlecht und unbeholfen Hoyerswerda doch die eigenen Potentiale nach außen sichtbar mache.
Ich selbst brauchte eine gewisse Zeit, um dieses selbstgemachte Ungeschick zu spüren. Und wie ich es spürte! Ich kam mir vor wie in einer modernen Variante des Märchens vom hässlichen Entlein. Sie erinnern sich? Die sieben Küken einer Entenmutter, eines davon grau und hässlich und ungemein tollpatschig. Keiner wollte mit dem kleinen Entlein spielen, so lief es von zu Hause weg. Niemand konnte ihm sagen, warum es so hässlich sei. Eine Bäuerin hielt das kleine Entlein sogar für eine Gans. Es sollte Eier legen. Dazu unfähig, lief das Entlein wieder weg. Aus Angst in der Pfanne zu enden. Floh an einen See, versteckte sich im Schilf. Der Winter kam und es drohte zu verhungern, wurde von einem Bauern gefunden, dessen Kinder pflegten es und dann… den Rest kennen sie ja. So kam mir Hoyerswerda vor, eine Stadt fest in diesem Märchen steckend und über den 2. Akt einfach nicht hinauskommend. Eine Stadt auf der Flucht vor sich selbst.
Aber zurück zur Sache: Am selben Tag sitze ich abends bei einer Veranstaltung im Bürgerzentrum zum Thema „Megatrends der Zukunft: Wie werden wir wohnen?“ In der Diskussionsrunde auch der Oberbürgermeister. Ausdrücklich weist er daraufhin, dass dieses neue Projekt nicht auf eine Initiative der Verwaltung zurückgeht, sondern auf den Gewerbering „Stadtzukunft e.V.“ Endlich, denke ich, endlich! Endlich haben hier Leute mal aufgehört auf den ewigen Sündenbock zu schimpfen und es selber gemacht. Und? Offene Türen eingerannt!
Nachts lese ich neugierig im TAGBLATT nach. Was steht denn da nun genau dazu? Ich lese, dass die Marketing-Verantwortlichen von Städtischen Wirtschaftsbetrieben, Wohnungsgesellschaft, LebensRäume-Genossenschaft und Heiko Schneider Consulting anderthalb Jahre getüftelt haben, um einen Feldzug vorzubereiten. Unternehmen der Stadt legen Geld in eine Kriegskasse, um Heere zu sammeln und zu finanzieren. Und der neue Schlachtruf? „Die sagenhafte Familienstadt im Krabat- und Seenland“! Von der amüsanten Doppeldeutigkeit des „sagenhaft“ abgesehen, finde ich „Familienstadt“ rotzfrech, denn sie umkurvt wie selbstverständlich unser Überalterungsproblem! Nö, behauptet die Parole trotzig, wir sind keine Legionärsstadt von Senioren! Hat nix mit unserer Zukunft zu tun! Listig wird die Perspektive auf eine Lösung gelenkt. Und die ist raffiniert wie die manipulative Aufforderung: Denken Sie nicht an den Rosa Elefanten! Und prompt tut man’s. „Familienstadt“ also! Na klar! Die Parole legt noch eines drauf: „… im Krabat- und Seenland“. Auch nicht schlecht! Krabat, der zusammen mit Kantorka, den hinterhältigen Schwarzmüller austrickste. Und das alles als Story in einer Seenlandschaft! Gefällt mir intuitiv. Das nenne ich, jemanden neugierig machen auf einen Ort und ihn über den Tisch ziehen!
Aber das ist noch nicht alles. Der eigentliche Knüller ist: der Träger dieser Kampagne soll ein Verein werden namens „Familienregion Hoy e.V“. Mit zwei hauptamtliche Stellen! Je nachdem, was für Heerführer man gewinnt, könnte das im Stadtmarketing von Hoyerswerda tatsächlich eine Revolution ins Rollen bringen, die, so lehrt uns Wikipedia, „ein grundlegender und nachhaltiger struktureller Wandel eines oder mehrerer Systeme (ist), der meist abrupt oder in relativ kurzer Zeit erfolgt“. Stellen Sie sich vor: Ein den Bürgern offener, sich selbst organisierender Verein würde sich des Stadtmarketing-Themas bemächtigen. Ein Verein, mit Mitgliedern, gewähltem Vorstand und professionellen Mitarbeitern. Ein kollektiver Akteur, der sich der Idee einer „Familienregion“ verpflichtet fühlen wird. Ein Player, der vielleicht nicht nur ein bestimmtes Bild von Hoyerswerda vermarktet, sondern der sich auch inhaltlich zu all jenen Themenfelder verhält, die für eine Familien-Region wichtig sind. Mit ein paar Bildern von lächelnden Familien ist das nicht getan, oder? Stellen Sie sich mal den Sack von Dimensionen vor, über die es dann nachzudenken gilt! Woran erkennt man eine echte, authentische Familienstadt, in die man gern ziehen will? Na? Dieser wagemutige Fokus könnte die Innen- und Außen-Sicht auf Hoyerswerda enorm schärfen und uns alle in Erstaunen versetzen. Und zwar darüber wozu wir als Stadtgesellschaft fähig sind – als sagenhafte Familienstadt.
(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt am 20./21.04.19)