Obenauf schwimmen oder absaufen

Eine neue Gesprächsreihe stellt die Frage: Was kann man aus der Vergangenheit für Hoyerswerdas Zukunft lernen?

Streng genommen ist es ein lokalpolitischer Erzählsalon in der Tradition des Hoyerswerdaer Vorreiters Christian Völker-Kieschnick. Eine historische Sprechstunde. Einige ältere Herren, ehemalige Verantwortungsträger für Hoyerswerda, Zeitzeugen, werden sich am Dienstagabend im Café „Auszeit“ des Bürgerzentrums versammeln, um gemeinsam einen Blick zu werfen auf einen Zeitabschnitt der jüngeren Vergangenheit von Hoyerswerda. Das Thema: „Die Vision der (sozialistischen) Zukunftsstadt Hoyerswerda – und ihr Scheitern. Die 1960er bis 1980er Jahre.“

Es geht um einen stadtgeschichtlich bedeutsamen Wendepunkt, der irgendwann im Zeitraum der 1960er- bis in die 1980er-Jahre zu verorten ist. Ich hatte bereits mit drei Zeitzeugen dazu Interviews geführt, als die nächsten zwei auf meiner Liste meinten, sie würden ihren Erinnerungsschatz besser im Gespräch mit anderen Zeitzeugen anzapfen und erörtern. Okay, dachte ich, vielleicht entflammen sie sich in ihren Beschreibungen ja gegenseitig, vielleicht verfeinern sich ihre Erinnerungen an die Zusammenhänge des Scheiterns, sodass irgendetwas Überraschendes herauskommt. Etwas, was wir „Jüngeren“ so nicht wissen oder so nicht sehen wollen. Also stimmte ich zu.

Während meiner Recherchen zum Thema entdeckte ich vier wichtige Gruppen von Zeitzeugen, die eine lokal-verantwortliche Perspektive für die Stadt repräsentierten: Zeitzeugen der Stadtplanung, Zeitzeugen der Wirtschaft, Zeitzeugen der lokalpolitischen Führung und Zeitzeugen der aktiven Bürgerschaft. Wenn man so will: Vier Gehirn-Areale einer “kommunalen Intelligenz“. Wer kommt nun am Dienstag an den Tisch? Ein einst sehr wichtiger Mann aus Schwarze Pumpe, zwei ehemalige lokalpolitische Funktionäre, zwei Stadt-Architekten, einer wird extra aus Berlin „hergebracht“… Wichtige Leute sind leider verhindert. Ein „ausführender“ Architekt, der sich liebevoll-konsequent an die Anweisung seiner Ehefrau hält: Dienstag ist Familientag, der gehört nur uns beiden! Eine ehemalige Bürgermeisterin, hochbetagt, wird auch fehlen. Sie hat mit dieser Zeit abgeschlossen. Zwei wichtige Bürgerschafts-Aktivisten sind ebenfalls verhindert, der eine muss als Stadtrat in der Versammlung der Räte. So ist die lokale „Königsebene“ von damals also unter sich.

Mag sein, dass noch weitere „Verantwortungs“-Perspektiven fehlen. Ich hoffe das Gespräch wird diese fehlenden Blickwinkel noch „enttarnen“. Auf eine wurde ich schon eindringlich hingewiesen: Frauen fehlen! Der weibliche Blick. Trotzdem stellen wir unsere Mikrofone auf, bauen eine TV-ähnliche Atmosphäre. Schalten die Kamera an. Werden was aus dem umwerfend-schönen Dokumentarfilm-Klassiker über Hoyerswerda anschauen – „Eine Stadt wird geboren wie ein Kind“ (1976). Projizieren ein paar Dokumente und Zitate an die Wand. Unterhalten uns über drei Thesen zu dem noch nicht genau beschreibbaren Wendepunkt der Stadtgeschichte. Öffnen das Gespräch fürs Publikum. In einigen Monaten soll dann eine nächste „historische Sprechstunde“ folgen, die sich mit einem zweiten Wendepunkt der Stadtgeschichte beschäftigt. Dieser soll sich zwischen den 1990-er und 2000-er Jahren verstecken. Der Sprechstunden-Titel lautet dann: „Misslungener oder gelungener Start in den Rückbau? Die 1990er- und 2000er-Jahre.“Aber warum reden wir darüber? Der Geschichtsbücher wegen? Das wäre zu banal.

Das Sprechen über Vergangenheit steuert auf eine dritte unvermeidliche „historische Sprechstunde“ zu, die sich dem jüngsten, jetzt noch unsichtbaren Wendepunkt der Stadtgeschichte stellt. Ihr Arbeitstitel lautet: „Bausteine eines neuen Zukunftsversuches: Wie werden diese in der Stadtgesellschaft verankert? Die 2020er-Jahre.“ Wir beamen uns in das Jahr 2030 und fragen im Futur II: Wer wollen wir dann geworden sein? Drei Sprechstunden und ein historischer Dreisprung: 1960-1990-2020! Eine Stadt die durch drei Wandlungsprozesse hindurch muss innerhalb von 60 bis 70 Jahren! Eigentlich unglaublich. Zunächst erforschen wir unsere „kommunale Intelligenz“ am Beispiel der Vergangenheit. Wie haben diese vier „Gehirn-Areale“ der Hoyerswerdaer Stadtgesellschaft früher miteinander interagiert? Stadtplanungs-Experten, Lokalpolitik, Wirtschaft und Bürgerschaft? Und dann fragen wir uns: Wie sind unsere „kommunalen Hirn-Areale“ heute aktiviert? Wie gut sind wir gewappnet für den neuen, bald einsetzenden nächsten radikalen Strukturwandel in der Lausitz, den Kohleausstieg? Schwimmen wir dann als Stadtgesellschaft oben und bestimmen die Richtung mit? Oder saufen wir darin ab?

Beginn ist am Dienstag im Bürgerzentrum um 19 Uhr.

(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 23./24.02.19)