Stadtentwicklung gefühlsbetont

In der Diskussion über die Zukunft von Hoyerswerda können einem die Gefühle mitunter übel mitspielen.

Diesmal waren wir 40. Ich habe durchgezählt. Die dritte Stadtwerkstatt zum Leitbild „Hoyerswerda 2030“ an der ich als Hoyerswerda-Frischling teilnahm. Und ich habe gleich gegen alle drei meiner eisernen Prinzipien verstoßen: 1. Nur beobachten und Klappe halten. 2. Wenn du den Schnabel aufreisst, dann beschreibe Dinge, die du beobachtest hast und unterlasse das Bewerten. 3. Wenn dir der faux pas der „Bewertung“ unterläuft, dann verkaufe diese nicht hinterlistig als „Fakt“, sondern als Eindruck. Ereifere dich nicht. Bleibe emotionsarm. Bestehe nicht darauf, dass dein Eindruckallgemein gilt. Wackle mit dem Zeigefinger und gestehe, dass auch du mal an Wahrnehmungsstörungen leidest.

Aber ich hab’s versemmelt. Ich habe die Klappe aufgemacht, bin auf meinem Eindruck geritten als wäre er ein gültiger Fakt. Ich werde Ihnen mal an einem Beispiel aus dem Leitbild-Entwurf explizieren, wie man einen Eindruck satteln kann und mit ihm wie eine wilde Sau durchs Dorf jagt. Eines vorweg: Ich finde den neuen Leitbild-Entwurf postwurffähig! Ein schlichtes DIN A 4 Blatt, beidseitig bedruckt. Fünf Überschriften, fünf Abschnitte. Das nenne ich mal übersichtlich. Wir 40 versenkten uns alle in den Entwurf und diskutierten dann an vier Tischen. Ich verbiss mich in folgenden Abschnitt:

„Hoyerswerda – Heimatstadt für Bürgerinnen und Bürger – Wir sehen unsere Stadt als Heimat für eine vielseitig aktive und engagierte Bürgerschaft. Wir setzen uns für unsere gemeinsamen Belange in der Stadt ein und bringen unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten kreativ und produktiv in das Stadtleben ein. Die Verwaltung versteht sich als Dienstleister und bestärkt individuell die Bürgerschaft mit einer Anerkennungskultur, die Engagement öffentlich und erlebbar macht. Es ist ihre besondere Aufgabe, junge Familien und Neubürger anzusprechen, die sich in Hoyerswerda ihre Zukunft aufbauen wollen. Die moderne, leistungsfähige und aufgeschlossene Verwaltung in unserer Stadt entwickelt aktiv die Möglichkeiten der Digitalisierung für einen besseren Service und höhere Effizienz. Sie arbeitet für ihre Bürgerschaft ebenso wie für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Hoyerswerda. Unser Stadtrat gestaltet gegenüber neuen Herausforderungen eine persönliche und engagierte Stadtpolitik und unterstützt die demokratische Meinungsbildung sowie schließlich die Umsetzung der gemeinsam entwickelten Ideen.“

Ich meldete mich und monierte, dass mich beim Lesen dieses Abschnittes das mulmige Gefühl beschlich, Stadtverwaltung und Bürgerschaft stünden sich hier zu sehr gegenübergestellt. „Dienstleister“, „Anerkennungskultur“. Die Bürgerschaft wirke im Text wie das „Objekt“ einer Verwaltung. Ein Objekt, das motiviert, bedienstet und für sein „Engagement“ anerkannt werden müsse… Dabei ist doch die Bürgerschaft immer „Subjekt“ und eigentliche Motor einer jeden Stadt. Wer denn sonst?

Da sagte einer, ich weiß gar nicht, ob er mir widersprach: „ Der Bürger ist an sich träge, er braucht eine starke Führung, sonst läuft nichts“. Ich plärrte sofort dazwischen. „Da habe ich ein anderes Menschenbild! Ich glaube nicht, dass der Bürger an sich träge ist. In jedem lodert die Lust, sich einzubringen! Vielleicht ist er mal müde. Wie es auch umgekehrt sein kann und die Verwaltung ist mal müde. Und Überhaupt: Ist es nicht so, dass manchmal die Bürgerschaft die Verwaltung vor sich her treibt und manchmal umgekehrt, da prescht die Verwaltung vor und zieht die Bürgerschaft nach. Das ist ein dynamisches Verhältnis“, dozierte ich und hörte das Holz in meinen Worten knarren. Einer sagte: „Es müsste doch so sein: Die Leute kommen mit einer Idee zur Verwaltung und kriegennicht gesagt: ‚Geht nicht, weil…’, sondern werden gefragt: ‚Was braucht ihr?’“

Darauf ein anderer: „Ich weiß noch, wie mal eine Bürgerin einer Verwalterin vorschlug: ‚Müssen unsere vielen, neuen Grünflächen immer so sauber kurz gemäht werden. Ich wünsche mir mal ein paar pralle Blühwiese’ ‚Geht nicht’, war die Antwort, ‚Wegen der Zecken’“. – Einer fasste zusammen: „Es muss doch so sein, dass die Leute sagen: Das ist ‚meine Verwaltung’“. – „Dazu machen sie zu wenig mit!“ – „Kündigt den Abriss von drei Blöcken an. – und schon stehen sie auf der Matte!“ – „Wir müssen damit leben, dass die Bürger an sich träge sind!“ – „Aber die Verwaltung kann sich die Bürgerschaft nicht aussuchen und sie alle fünf Jahre neu wählen!“ – „Wenn es so schlimm ist, dann zeigt die Verwaltung eben die Bürgerschaft an! Wegen zwanghafter Maulerei, fahrlässiger Trägheit und Fantasielosigkeit gegenüber ihrer eigenen Stadt!“ Und prompt hatten wir uns verrannt – im Labyrinth „postfaktischer“ Emotionen. Verstehen sie, was ich meine?

(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 15./16.04.17)