Im Quartier Wohnkomplex 9 (WK9) wird um dem Bau eines neuen Einkaufcenters gestritten. Trotz eines Überschusses an Einkaufsflächen in der Stadt.
Was aktive Bürgerinnen und Bürger demotiviert
Kommunale „Demokratie nach Vorschrift“ ist genau das, was aktive Bürgerinnen und Bürger demotiviert, schlimmstenfalls anekelt, weil kleine (leider meistens männliche) Netzwerke unter sich ausmachen, wie und was in einer Stadt sich entwickeln soll. Kritische Gegenstimmen werden mit taktischen Manövern und formalen Abläufen abgewehrt. Kompetenz entmündigt. Die eigene ausgestellt: „Man kann doch nicht Neues verhindern nur um Altes zu bewahren.“
Der Streit um das hochstrittige Bauvorhaben „Neue Kühnichter Heide“ macht jedoch immer mehr genau diesen Eindruck.
Acht Fakten, die diesen Eindruck erhärten
1. Zehn Tage vor der nächsten Stadtratssitzung am 30.01. tritt nun die neu überarbeitete Fassung des Einzelhandels- und Zentrenkonzeptes aus dem geschlossenen (nichtöffentlichen) Raum in die Öffentlichkeit und ist ab dem 20.01. im Ratsinformationsystem ALLRIS (1) einsehbar. Jeder Bürger, der sich genauer mit der Materie beschäftigt hat, weiß, dass es beim Streit um das neue Einzelhandels- und Zentrenkonzept der Sache nach um eine Legitimierung der Einzelhandels-Ansiedlung im Bauprojekt Nr 33 „Neue Kühnichter Heide“ geht. Das über 100-seitige Konvolut müsste innerhalb von zehn Tagen (ehrenamtlich) studiert und bewertet werden. Das ist erfahrungsgemäß zu knapp, denn die Stadträte sollen darüber sofort am 30.01. abstimmen. Die Chance ist hoch, dass die Stadträte es durchwinken, denn die Befürworter sind hier klar in der Mehrheit. Auch ein Antrag auf Verlängerung von Bedenkzeit dürfte damit wenig Chancen haben auf eine Mehrheit. So ist die „Vorschrift“: Es gilt immer die Mehrheit. Die Zeit des Überdenkens wird so „taktisch“ verkürzt. Ohne Bruch von Vorschriften.
2. Die Stadtverwaltung macht und machte zu keiner Zeit Anstalten zu diesem hochstrittigen öffentlichen Thema Bürgerwerkstätten oder wenigstens eine Bürgerversammlung einzuberufen, auf der sich die Akteure der Neubebauung den Fragen der Bürger stellen. Alles bleibt auf die möglichst kleinsten Kreise beschränkt. Eigenartig. – Demokratische Vorschriften aber werden nicht gebrochen.
3. Ein weiteres, wichtiges Gremium wurde bislang komplett umgangen: Der Zentrenbeirat. Zu keiner Zeit wurde er um eine Stellungnahme gebeten. Zwar gab es innerhalb dieses Gremiums Versuche dazu, doch sprachen viele Mitglieder von offenen Loyalitäts-Konflikten und wagten damit keine öffentliche Stellungnahme.
4. Die Befürworter des Bauprojekts in der Stadtverwaltung und im Stadtrat beziehen ihre Argumente aus einem Konzept, das ausgerechnet von genau der Agentur erstellt wird, die schon das fehlende Verträglichkeits-Gutachten für das Bauprojekt erstellten. Ist ein solcher Konzept-Autor nicht befangen? Sonderbar hier auch das Argument: Man hätte die Agentur deshalb erneut bestellt, weil diese das neue Konzept mit einem Kosten-Rabatt erstellen würde. Kostengünstige Befangenheit könnte hier wirklicher Neutralität gegenüber stehen. Lügt man sich damit aus Kostengründen nicht in die Tasche? Oder ist man an einer objektiven Sichtweise auf die Fakten gar nicht mehr interessiert? Geht es hier um wirkliche wertschätzende sachliche Abwägung – oder um einen Machtkampf? Man darf davon ausgehen, dass das neue Konzept eine Neubebauung/Neu-Ansiedlung von Einzelhandel abermals befürworten wird. Wer hier Wetten abschließt, dass es anders kommt, wäre selber schuld.
5. Die Stadtverwaltung betreibt gegenwärtig eine Stadtplanungs-Politik, die diametral zu den Aussagen des GeREHK-Prozesses (2) im Mai 2023 stehen. Hier sprach der externe stadtplanerische Prozess-Berater Jens Gerhardt-Strahl vom notwendigen infrastrukturellen Zurückschneidern einer zu großen Stadt. Stichworte seiner Analyse waren:
* „Ein zu großer Mantel muss angepasst werden.“
* „Auflösung und spontanes Wachstum geschehen gerade zeitgleich in der Neustadt: Wo ist der Masterplan?“
* „Die Neustadt ist eine Planstadt. Warum mit dem Planen aufhören?“
* „Ziel muss sein: Kompaktheit mit hoher Qualität.“
6. Wie kommt es, dass die neue Denkfabrik neuSTADT, die extra für den GeREHK-Prozess gebildet wurde, sich nicht zu diesem Thema äußert? Hier brütet seit Oktober ein sechsköpfiges Männer-Gremium hinter verschlossenen Türen über Zukunftsplanungen der Neustadt. Das Gremium aber schweigt.
7 . Versuche, die Stadtverwaltung zu bewegen, die Neubebauung des WK9 in den bürgerbeteiligten GeREHK-Prozess zu integrieren treffen bei der Stadtverwaltung auf Granit. Auch der dringliche Appell, endlich einen Stadtplaner zu bestellen, verhallen ungehört. Selbst eine Stadt wie Weißwasser gönnt sich diesen mittlerweile – und fand auch einen Weg zur Finanzierung dieser Stelle. Hoyerswerda nicht? Warum nicht?
8. Die Stadtverwaltung zäumt rein stadtplanerisch das Pferd von hinten auf. Normalerweise klärt man ERST die sogenannten Fragen der Raumordnung und DANN die Fragen der sogenannten Bauleitplanung. Hier ist es genau umgedreht. Die Bauleitplanung hat Vorrang vor der Raumordnung: a) man setzt den gültigen Flächennutzungsplan, der eine Bebauung eigentlich verbietet, mit einem Ausnahme-Paragrafen außer Kraft. b) das Bauvorhaben wird nicht in den GeREHK-Prozess integriert. c) die Frage der Gewerbeflächen wird durch eine möglicherweise befangene Agentur fachlich beantwortet?
Aber: Alles im vorschriftsgemäßen Rahmen: „Demokratie nach Vorschrift“.
Die Frage muss erlaubt sein: Fehlt es in der Führungsspitze der Stadtverwaltung an demokratischer Sensibilität gegenüber der Bürgerschaft? Man darf vermuten, dass sie sich weiter hinter dem Argument „vorschriftsmäßiger Abläufe“ verbarrikadiert. Obwohl man freiwillig mehr Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung ermöglichen könnte.
Angesichts der mittlerweile von vielen beklagten „gefährdeten Demokratie“ scheint bei der Stadtverwaltung eines nicht angekommen: Mit der „Demokratie nach Vorschrift“ erweist sie der Demokratie einen Bärendienst.
Mittlerweile drängt sich die Frage auf: Worin besteht die WIRKLICHE Motivation der Stadtverwaltung so verbissen ganz nach „Vorschrift“ an dem Bauprojekt festzuhalten? Eine Ermöglicherin realer und nicht nur formaler Bürgerbeteiligung scheint sie IN DIESEM FALL jedenfalls nicht zu sein.
Es liegt freilich allein an den Stadträten, nicht an der Stadtverwaltung, ob sich die Stadträte für die Bürgerschaft mehr einfordern als nur „Demokratie nach Vorschrift“. Tun sie es nicht, kann die Stadtverwaltung und ihr Oberbürgermeister sich ganz auf das Prinzip zurückziehen: „Demokratie nach Vorschrift“