Hoyerswerdas Geschichte bietet ein gutes Beispiel für die Abwesenheit von genauen Angaben in einer Diskussion
Frank Hirche hat einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben. Er schreibt im Namen eines sächsischen Landtagsabgeordneten sowie des Vorsitzenden des CDU-Stadtverbandes Hoyerswerda. Er schreibt der Kanzlerin: „Ich bitte Sie, nehmen Sie meine Zeilen als Botschaft von der Basis wahr.“ Genau hier werde ich hellwach.Der Reihe nach: Die CSU verfolgt, wie wir allseits hören, im Streit mit der CDU eine radikalere Linie in der Flüchtlingspolitik. Und Frank Hirche solidarisiert sich mit der CSU, die eine verstärkte Abweisung von Migranten an den deutschen Grenzen durchzusetzen versucht.
Der Abgeordnete schreibt: „Unser christliches Menschenbild prägt unsere Haltung grundsätzlich. Wir sind bereit, Menschen in Not aufzunehmen und Schutz vor Verfolgung zu gewähren. Aber damit wir den gesellschaftlichen Konsens nicht riskieren, bedarf es klarer Regeln. Es kann nicht sein, dass der Eindruck entsteht, dass jeder in Deutschland willkommen ist. Unser Sozialsystem baut auf Solidarität, die durch den Zustrom hunderttausender Flüchtlinge gefährdet wird. Die Ängste der Menschen in meinem Wahlkreis sind real und weit verbreitet!“ Bei einem Satz stutze ich: „Es kann nicht sein, dass der Eindruck entsteht, dass jeder in Deutschland willkommen ist.“ Ich starre auf den Satz und ein Wort leuchtet mich grell mich an. Wie eine Rundumleuchte. Das Wort „Eindruck“. „Es kann nicht sein, dass der Eindruck entsteht…“
Ich erinnere noch mal daran, Frank Hirches Brief ist eine „Botschaft von der Basis.“ Auch wenn er die Basis der CDU meinen könnte, fühle ich mich angesprochen. Denn die hiesigen Mitglieder der CDU und ich, wir teilen die Realität von Hoyerswerda. Natürlich jeder mit seiner besonderen Sichtweise, weil die Realitäten unserer Stadt vielfältig sind. Und natürlich weiß ich nichts über die Erfahrungen von Polizisten, von Jugend- und Sozialamtsmitarbeitern, nichts von den Erlebnissen der Leiter und angestellten Betreuer in den Flüchtlingsunterkünften und nichts von den Einsichten der freiwilligen Helfer, wie der Initiative „Hoyerswerda hilft mit Herz“. All jene Perspektiven also, die ganz dicht dran sind an den Flüchtlingen. Mir fehlt zudem die sachliche Kompetenz für die Unterscheidungen, mit denen sie beschrieben und sortiert werden. „Kriegsflüchtling“, „Asylsuchender“, „Arbeitsmigrant“, „islamistischer Gefährder“. Aber was ich weiß ist: Es gibt einen grundlegenden Unterschied von „Eindruck“ und „Fakt“.
Das weiß ich, weil ich in Hoyerswerda lebe. Ich muss spontan an den Satz eines Facebook-Nutzers denken, der vor einigen Wochen eine rege Diskussion über den stadtgeschichtlichen Schandfleck „Progrom Hoyerswerda 1991“ auslöste. Dieser schrieb: „Ich habe sehr viel über die Geschichte meiner alten Heimatstadt gelernt! Auch dass Leute ihre eigenen Erinnerungen von damals geschildert haben, selbst wenn diese nur auf Gerüchten etc. beruhen mögen, zeichnen diese doch ein Bild von den Gefühlen der Menschen damals. Denn Menschen reagieren gleich, ob ihr Handeln nun Gerüchten oder (noch) nicht bewiesenen Tatsachen zu Grunde liegt.“ Und genau as ist für mich der Punkt! Wir wissen alle, wie die Medien-Maschine „Eindrücke“ erzeugt. Über Dinge die man nicht selbst erlebt hat. Und wie verdammt schnell man dabei pauschalen Urteilen ausgesetzt sein kann – auf der Grundlage medialer „Eindrücke“. Wollen wir das auch in diesem Fall? Auf dem Fundament von „Eindrücken“ politische Urteile und Entscheidungen treffen? Wäre nicht authentische Sorgsamkeit und Genauigkeit angebracht? Etwas Diät von der Meinung und stattdessen mehr „Studium“ und genauere Mitteilung über das, was wir dazu, hier an der Basis, wirklich beobachten können? Das schließt ein, dass wir offen aussprechen, was genau uns irritiert, was genau uns Unbehagen bereitet und Angst macht vor den Flüchtlingen, die wir hier in der Stadt erleben. Wir sollten uns das nicht durch die Medien diktieren lassen. Eben weil wir das kennen. Weil wir aus Hoyerswerda sind.
Übrigens bevorzuge ich statt der Angst-Perspektive eine grundsätzlich andere. Sie steht in der Bibel: “Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“
(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 23./24.06.18)