Der lange Schatten des Herbstes 1991

Als Mitautor des Tanzstückes „Manifest!“ befasste sich unser Kolumnist jetzt intensiver mit dem damaligen Geschehen.

Irgendwie war klar, dass wir das bei aller medial gesättigter Müdigkeit nicht aussparen durften: Hoyerswerda 1991. Nun ist es drin, im großen Tanztheaterspektakel „Eine Stadt tanzt: Manifest!“, das am nächsten Wochenende im Ex-Centrum am Lausitzer Platz sechsmal zur Aufführung kommt.

Wir hatten im Vorfeld Unbehagen unter den Tänzern, Chorleuten und im Spielleiter-Team auszudiskutieren, ob und wie wir dieses höchst unangenehme Stadt-Ereignis auf die Bühne kriegen sollen. Nun, nachdem der verantwortliche Choreograph eine ungewöhnliche emotionale Wucht aus den Tänzern herausholte, hat sich herausgestellt, dass der Herbst 1991  ein ganzes Stück wert gewesen wäre!

Dass dieses Ereignis mehr ist als nur ein lästiges, stadthistorisches Wespennest, zeigte eine vor zwei Wochen geführte Diskussion auf der Facebook-Seite „Alle Hoyerswerdaer Mädels und Jungs“. Hier postete ein ehemaliger Hoyerswerdaer, der jetzt im Schweizerischen St. Gallen lebt: „Durch den Post über das Buch ‚Generation Hoyerswerda’ bin ich auf die Idee gekommen euch mal zu fragen ob ihr aus eigener Erfahrung wisst wie es damals zugegangen ist? Hat jemand von euch in der Nähe der Krawalle gelebt? Weiß jemand wie es dazu gekommen ist, dass Hoyerswerdaer Bürger plötzlich so ‚durchdrehten’? Was waren die direkten Auslöser vor Ort? Wie war die Stimmung im Wohngebiet bevor das Ganze los ging? (…)“

Er schreibt weiter: „Ich war 1991 elf Jahre alt. Trotz ausdrücklichem Verbot meiner Eltern hab ich mich damals allein aufs Fahrrad geschwungen und bin aus der Altstadt in die Neustadt geradelt um aus reiner Neugier direkt vor Ort einen Blick zu erhaschen (…)“ Und dann: „Bitte führt hier keine ‚Rechts-Links’ Diskussionen. Es geht mir wirklich nur um eine wertfreie neutrale Darstellung der Ereignisse.“

Mit diesem Eintrag löste er eine teilweise aufgeheizte, lange Kommentarkette aus. Ein Mitglied der Facebook-Gemeinde postete irritiert: „Das ist interessant. Ereignisse 1991 – über 275 Kommentare und kein Ende abzusehen. Diskussion 2017 zur aktuellen Entwicklung in der Stadt – 5 Kommentare. Klare Priorität der Hoyerswerdschen: Vergangenheitsdiskussion immer – Zukunft interessiert nicht.“

Zwei Tage später meldete sich der ursprüngliche Fragesteller nochmals zu Wort: „Ich möchte euch wirklich danken dass ihr so zahlreich und neutral wie möglich mitdiskutiert habt! Ich habe sehr viel über die Geschichte meiner alten Heimatstadt gelernt! Auch dass Leute ihre eigenen Erinnerungen von damals geschildert haben, selbst wenn diese nur auf Gerüchten etc. beruhen mögen, zeichnen diese doch ein Bild von den Gefühlen der Menschen damals. Denn Menschen reagieren gleich, ob ihr Handeln nun Gerüchten oder (noch) nicht bewiesenen Tatsachen zu Grunde liegt. Wenn ich mir die Filme von damals aus der Webdokumentation (www. hoyerswerda-1991.de) anschaue (…) muss ich doch sagen, dass da riesige Schritte gemacht wurden um ein besseres Klima in HY zu schaffen. (…) Es scheint den Menschen wirklich ein großes Anliegen zu sein über das Geschehene zu sprechen und sich auszutauschen.“

Und dann kommt für mich der Knüller: „Noch eine Frage: Wurden die Aussagen von dem Gastarbeiter und dem Anwalt zur Verquickung der LauBAG in die Randale irgendwann näher verfolgt? 
Zur Erklärung falls es jemand nicht in den Videos gesehen hat: Ein Gastarbeiter und der vertretende Anwalt schilderten die Umstände, dass zum Ende der bereits beschlossenen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit der LauBAG die ihnen zustehenden Abfindungen und Lohnfortzahlungen durch die LauBAG verweigert wurden. Als sich die Mosambikaner mit einer Demo im Wohnheim dagegen wehrten, wurde ihnen und dem Anwalt durch die Personalvertretung der LauBAG mitgeteilt, dass sie dies so zu akzeptieren haben oder es könne nicht mehr für ihre Sicherheit gesorgt werden. Und am nächsten Tag standen die Rechten vor der Tür.“

Jetzt bin ich hellwach und stelle mir ein großes Theaterspektakel in der Lausitzhalle vor. Zum 30. Jubiläum 2021. „Tribunal: Hoyerswerda 1991!“Als getanztes, gesungenes, gespieltes und Video-gestütztes dokumentarisches Stück, in welchem man alle Perspektiven zugespitzt und gleichberechtigt zur Geltung kommen lässt. Als empathische Annahme des Widersprüchlichen.

(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 26./27.05.18)