Warum die sachkundige Teilhabe an Hoyerswerdas Entwicklung nicht so einfach ist.
Werden wir jetzt nicht nervös. Kriegen nicht die Panik. Fahren nicht die Stachel aus. Nehmen zur Kenntnis. Registrieren das Gelesene. Verfallen nicht in Unmut. Zählen bis zehn. Atmen durch.
Rückblende – 15.11. Sparkassensaal: Übersichtliche 40 Leute, man kennt sich. Immer mal wieder taucht ein neues Gesicht auf, bleibt eines weg. Bürgerversammlung zum Handlungsprogramm. Das lang ersehnte Ergänzungsstück zum Leitbild „Hoyerswerda 2030“. Der zweitwichtigste Text nach dem Leitbild, den jeder Stadtbürger kennen sollte, dachte ich erwartungsvoll. Das Drehbuch zur Zukunftsvision. Die Nägel mit den Köpfen, sagte einer. Und dann – Vorhang auf – erschien es uns auf der glühendweißen Präsentationswand: Eine Tabelle. Ach was! Ein Monstrum von Tabelle. 13 Längs-Spalten. Die wichtigsten Spalten heißen „laufende Nummer“ „Maßnahme“, „Kurzbeschreibung“, „Leitbausteinnummer“, „Zeitraum“, „Finanzrahmen“, „Verantwortlichkeit“, „Bemerkung“. Und dann 85 Querspalten. In denen 74 Maßnahmen untereinander gestapelt sind. Kolonnen, Bataillone von Stichworten. Eine ganze Armee! In vier Divisionen, marschiert sie dem Leser übers Auge ins Hirn hinein in die neuronale Speicherzone, die für „Hoyerswerda“ reserviert ist. Gleich neben der Speicherzone „Urlaubswünsche“ und „Beziehungsträume“. Zugegeben, das ist jetzt sehr willkürlich. Sie wissen, was ich meine: Unser Hirn hat mehr im Kopf als nur die Stadt, in der wir fast rund um die Uhr unsere Körper hin- und herschieben.
Zurück zum Tabellen-Monster: Mal quält sich der Blick quer, mal diagonal, dann wieder längs, um Informationen zwischen Neben-, Ober- und Unterzeilen zu verschrauben. Beunruhigt blättere ich vor und zurück. Oh Gott – 12 Seiten Tabelle! Okay. Ein Übersichts-Provisorium. Zehn Maßnahmen betreffen Konzepte und Planungen. 18 sind bauliche Maßnahmen. 25 betreffen den Verkehr, fünf die Feuerwehr… Das Lesen ist wie ein rumpelnder Helikopterflug über die Schlachtordnung einer römischen Legion, die in die Zukunft marschiert. Oder doch in den Teutoburger Wald?
Nach dem hastigen Überflug übers Handlungsprogramm werden wir vom bärtigen Feldherrn an vier Tische gebeten. Vier „Werkstatt-Tische“ entsprechend der vier ethischen Zukunftsgebote von Hoyerswerda, umetikettiert in pragmatische Schwerpunkte: 1. Tisch – „zusammen leben, helfen, schützen“: Soziales, Gesundheit, Senioren, Klima/Umwelt. 2. Tisch – „städtisch leben, umbauen, neu erfinden“: Wohnen, Stadtumbau, Wirtschaft, Handel /Einkaufen, Mobilität. 3. Tisch – „inspirieren, engagieren, teilen“: Kultur, Tourismus, Bildung, Sport, Freizeit, Umland/Region. 4. Tisch – „gut leben in unserer Heimatstadt“: Moderne Verwaltung, Digitale Stadt, Ehrenamt, Beteiligung/Teilhabe. Und dann saßen wir da. Wir Legionäre, wir römischen Bürger. Vor unserem Tabellen-Wald und studierten ihn, gebeten um Kommentare. Uffff!
Wir gingen ungewöhnlich sanft miteinander um. Zumindest am Tisch 3. Dort saß ich saß. Zwei Stadtverwalter, ein Stadtparlamentarier und sieben „normale“ Bürger. Wir sieben schienen uns instinktiv einig: Keiner hatte Lust zu meckern. Die kochen auch nur mit Wasser, dachten wir vermutlich. Und wir sowieso. Und dann kommentierten wir. Irgendwie und drauflos. Was ist mit der Maßnahme Tourismuskonzept? Da steht ja gar kein Geldposten drin! Und wer ist dafür beauftragt? Und wann genau liegt es vor? Usw., usf. Wir mussten die Stadtverwalter ermahnen, sich nicht zu rechtfertigen. Ist ein instinktiver Reflex, spürte ich, wenn sie auf Bürger treffen. Haben Sie nicht nötig. Hinhören, notieren. Reicht. Bloß keine Spirale auslösen von Aber-Aber-Entgegnungen.
Ich hatte auch einen Wunsch: Bitte nicht diese hieroglyphische Tabellenlandschaft. Wie wär’s mit einer zweiten (würdevollen) Edelbroschüre, die ich mir gern ins Regal stelle. Als ansprechender Einstieg in sachkundige Teilhabe, sozusagen. Für jede Maßnahme eine eigene Seite. Mit Hinweisen, wie und wo man das Verständnis der Maßnahme, wenn man mag, vertiefen kann. Und mit einem „Offen-für-Erweiterung“. Damit ich und die anderen 30.000 Stadtbürger andocken können mit der eigenen Kenntnis zur Sache. Kolumnistenkollege Frank Seifert hat vor zwei Wochen schon einen mühseligen Anfang gemacht… Ich habe etwas Bammel, wir könnten sost abstürzen auf unserem Flug in die Zukunft, mit dem Kopf im Sand laden und schnaufen: „Die machen das schon. Die mit ihrem Geheimwissen. Is ihr Job. Werden ja dafür bezahlt“. Nee-nee, so entsteht keine Austausch zwischen uns. So bleiben die Dinge beim Nötigsten. Bei ihrer innewohnenden Trägheit.
(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 16./17.12.17)