Was müsste passieren, damit du nach Hoyerswerda zurückkehrst? (Helene Déus)

Ich darf im Rahmen des Projekts „30 Jahre Kulturfabrik Hoyerswerda“ zwei Beiträge für ein Porträt-Buch machen. Ich entscheide mich für das Interview. Sie sind zu lang für das Buch. Das Kürzen überlasse ich dem Herausgeber. Hier die Originaltexte.

1. Die Energiebombe, Kulturfresserin und Macherin. 

Helene: Ich bin im Mai 2000 geboren. In Hoyerswerda. Bin in die Grundschule am Park gegangen und hab am Lessing-Gymnasium meinen Schulabschluss in der vertieften musischen Ausbildung gemacht. Hab dann für mich das FSJ (Freiwilliges soziales Jahr) für mich abgewählt und bin direkt ins Studium rein. Kulturwissenschaften in Leipzig. Hab meinen Bachelor gemacht und bin jetzt im Master-Studium.

„Ich mache mir da jetzt aber nicht so viel
Stress, dass ich jetzt gleich am Anfang 
mein Lebensziel finden muss.“

Olaf: Du hast ja auch selbst ziemlich viel kreatives Zeug gemacht. Warst in zwei Theatergruppen der Kufa, spielst beim Weihnachtsmärchen in der Lausitzhalle mit. 

Helene: Seit ich 16 bin, bin ich Kufa-Mitglied. Seitdem betreue ich auch das Liederfestival Hoyschrecke mit und bin so auch in Leipzig in die LiedermacherInnen-Szene reingerutscht. Seit zwei Jahren bin ich Vorstandsvorsitzende vom Leipziger Liederszene e.V. Das ist so ein Vernetzungs-Verein, der viele Veranstaltungen macht. Man lernt da unglaublich viel über Vereins- und Organisationsarbeit, Abrechnungen, Anträge schreiben und sonst was. Da bin ich sehr dankbar für. Ich mach gerade parallel noch Band-Zeug. Mit meiner Band Waldzither-Punk. Das läuft sich jetzt aber gerade aus. Ich möchte niemals kreativ sein und davon leben müssen. Ich hab Bock, das zusätzlich zu machen solange es Spaß macht. Aber ich stress mich da gar nicht. Vielleicht kommt ja auch was anderes oder auch nicht. Wer weiß.

Olaf: Wo könnte es beruflich hingehen?

Helene: Ich wollte ganz früher Meeresbiologin werden. Dann hatte ich mal ein Jahr den Drang Psychologie zu studieren. Wirtschaftspsychologie. Irgendjemand hat dann gefragt, wieso nicht Kultur? Und dann dachte ich, ja wieso eigentlich nicht? Ich fand es schon immer total geil, mit kreativen Menschen zusammenzuarbeiten. Und den Raum zu geben, dass sie das tun, was sie gut machen können. Das ist im Grundsatz mein berufliches Ziel. In welchem Rahmen konkret das passiert, das steht grad so ein bisschen im Raum. Ich dachte lange Zeit, ich will sofort in die Soziokultur einsteigen. Ich hab jetzt seit zwei Jahren einen Job in der Oper hier in Leipzig, in der Theaterpädagogik. So Orga-Kram. Ich könnte mir vorstellen, auch in so einer großen Institution zu arbeiten. Dann habe ich die Sommerzeit in Pristina in der Sommerschule verbracht und dachte, f***, vielleicht ist die Arbeit im Ausland auch was Spannendes für mich. 

Olaf: Und?

Helene: Ich denke irgendwas mit Kultur, darauf läuft es hinaus, obwohl man da auch von einer Projektstelle zu anderen geschmissen wird. Ich mache mir da jetzt aber nicht so viel Stress, dass ich jetzt gleich am Anfang mein Lebensziel finden muss.

„Ich verbringe viel Zeit damit, 
mir hypothetische Szenarien auszumalen 
von meinem zukünftigen Leben“

Olaf: Womit beschäftigst du dich noch so?

Helene: Ich bin ein großer Uhren-Fan. Das hab ich von meinem Vater übernommen. Mechanische Uhren. Ich hab natürlich nicht Massen an Geld, um richtig viele zu sammeln. Dann nähe ich unglaublich gerne. Ich liebe es. Ich kann mich zehn Stunden einschließen und mir wird nicht langweilig. Gerade gehe ich auch extrem viel in die Oper. Ich glaub, ich gucke mir jede Woche ein, zwei Oper an. Berlin, Leipzig oder sonst wo. Das liegt an meinem Freund, der hat irgendwie damit angefangen. Und jetzt bin ich da auch drin und das macht Spaß. Ich mag musikmäßig sehr, sehr viele Sachen. Weltmusik-Zeug, Punk-Shows, Avantgarde-Zeug. Genre-Überschneidungen finde ich immer geil. Und ich interessiere mich sehr für Volksmusik und Volkslieder vor allem im Kontext von deutschen Folkbands. Da ich hab schon eine gute Anzahl an Volksmusiksammlungen in meinem Bücherregal stehen. Und ich gucke auch gerne Hausbausendungen. Ich mag Architektur, Innenarchitektur. Ich beschäftige mich mit Fantasievorstellungen, wie mein zukünftiges Leben mal aussehen könnte. Wohnmäßig. Auch so alternative Wohnkonzepte. Ich verbringe viel Zeit damit, mir hypothetische Szenarien auszumalen von meinem zukünftigen Leben. 

Olaf: Kommt mir so vor, als würdest du in einem Dreieck springen. Kultur fressen, Kultur machen und Kultur ermöglichen.

Helene: Ja wahrscheinlich stimmt das mit dem Dreieck. Aber als kreativ Schaffende sehe ich mich nicht beruflich. Das ist, was ich ausschließlich in dem Maße mache wie ich Freude dran habe und auf keinen Fall mehr. Das ist auch nichts, wo ich Spaß dran hätte, mich unter Druck zu setzen, was bei den anderen beiden Sachen eher passiert. Sich unter Druck setzen kann ja manchmal gut sein, weil sonst wächst man ja nicht. Und das mach ich da. 

2. Wie in der Zukunft wohnen und miteinander leben?

Olaf: Hypothetische Szenarien über das künftige Leben?

Helene: Das mit den Lebenskonzepten ist irgendwie im letzten Jahr aufgekommen. Dass ich gemerkt habe, dass ich es nicht mag in meiner kleinen Wohnung zu wohnen und irgendwie… Also vielleicht anders gesagt, ich bin ein sehr introvertierter Mensch und ich bin sehr gut darin mich einzuigeln und nicht aktiv mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Und bin da sehr lang sehr glücklich drin, weiß aber, und vielleicht hat sich das auch durch Corona nochmal so richtig bestätigt, dass das was ist, das mir langfristig nicht gut tut. Ich bin irgendwie frustriert in einer Welt zu leben, wo man gezwungen ist, wenn man in sozialen Kontakt treten will, man einen Termin vereinbaren muss. Und dann trifft man sich in einem Café, wo man am was kaufen muss und so weiter.  

„Ich bin frustriert in einer Welt zu leben, 
wo man gezwungen ist, wenn man
in sozialen Kontakt treten will, 
man einen Termin vereinbaren muss.“

Olaf: Passt jaWir müssen dieses Interview per WhatsApp-Sprachnachricht machen.

Helene: Dieser Mangel an dritten Orten, das ist irgendwie ein großes Thema gerade, überhaupt diese räumliche Hürde. Alle Menschen sind so beschäftigt, dass es gar nicht anders geht, dass man sich natürlich Termine ausmachen muss. Und diese Hürde frustriert mich extrem. Mich frustriert generell diese zunehmende Individualisierung im Wohnen, sodass man gezwungen ist, immer sein eigenes Ding zu machen. Selbst wenn du in einem Riesen-Mehrfamilienhaus wohnst, hat trotzdem jeder seinen eigenen kleinen Scheiß in der Kammer oder im Keller stehen. Ich finde es so albern, dass jeder sich eine eigene Leiter kauft, obwohl viel sinnvoller wäre, sich einfach eine Leiter zu teilen. Ich hab mich da so ein bisschen in gemeinschaftlichen Wohnformen eingelesen, die dann auch mit so gemeinschaftlichen Eigentum zusammenhängen. 

Olaf: Kannste das erläutern?

Helene: Es gibt in Leipzig Hausprojekte, die verfallene Häuser retten, wo die Leute aber kaum eine Privatsphäre haben. Ich find das extrem geil, aber ich hab keinen Bock in einer 20-Mann-WG zu wohnen. Weil, dafür bin ich einfach zu introvertiert, das ist nicht mein Ding. Aber dann habe ich gemerkt, dass es ja auch die Möglichkeit gibt, eine einzelne Wohnung zu haben und gemeinsam ein Haus zu gestalten. Mehrgenerationen-Wohnen. Ich finden den Gedanken sinnvoll, viel, viel mehr Gemeinschaftsflächen zu nutzen, was den privaten Wohnraum gar nicht ausschließt. Aber wo man nicht die 90 Quadratmeter zum Wohnen braucht, weil da ein Wohnzimmer, ein Hobbyzimmer oder sonst was untergebracht werden muss, sondern dass es geht, sich auf vielleicht 40, 50 Quadratmeter zu beschränken und daneben noch gemeinschaftlich genutzte Räume hat. Hobbyräume und so. Ja, das ist was, was mich sehr beschäftigt, auch auf der logistischen Ebene. Ich war schon mal kurz davor, einen Beratungstermin der Stadt Leipzig wahrzunehmen. Die haben eine coole Initiative, die das fördern und Grundstücke ausschreiben für genau solche Projekte. Ich war letztens bei einem Workshop-Gespräch von so einer genossenschaftlichen Kulturinitiative, die ein Objekt zur kulturellen Nutzung gemeinschaftlich gekauft haben.

„Dann habe ich gemerkt, dass es die
Möglichkeit gibt, eine einzelne Wohnung
zu haben und gemeinsam
ein Haus zu gestalten“

Helene: Ich find den Gedanken von Wohneigentum spannend, den ich im Sinne der Altersabsicherung auch spannend finde, aber vor allem in dem Sinn, wie kann man Wohneigentum sowohl nachhaltig als auch fair und nicht spekulativ machen. Diese Gedanken finden sich im Genossenschaftsmodell oder im Mietshaus-Syndikat wieder. Die machen deutschlandweit Kooperationen mit Vereinen. Da gibt es ganz unterschiedliche Sachen und das liegt mir irgendwie am Herzen. Ich hab jetzt noch ein paar Jahre Zeit, bis das wirklich relevant wird und ich dann in eine konkrete Planung gehe, wie denn mein Wohnen aussehen soll. Aber irgendwie seh ich mich da sehr, egal in welcher Form.

3. Hoyerswerda und Schrumpfung – ein nicht gewinnbarer Kampf?

Olaf: Wie ist deine Perspektive auf die Kufa und auf Hoyerswerda als Stadtgesellschaft? Was hast du da so wahrgenommen?

Helene: Erstmal muss ich sagen, Stadtgesellschaft war für mich immer die Kufa. Ich hab das Gefühl, alle Arten von Netzwerken, die sich so auftun, münden in meiner Wahrnehmung immer irgendwie in der Kufa. Das liegt natürlich auch daran, dass das die Kreise waren, in denen ich mich bewegt habe, ganz klar. Das war meine Wahrnehmung Nummer 1. Und ich glaub, das ist auch immer noch so. Auch wenn ich jetzt vielleicht mit dieser Jugendklub-Aktion (Jugendklub Postkosmos) auch noch Zugänge zu den wirtschaftlichen, wohnungsgesellschaftlichen und politischen Kreisen und Netzwerken bekommen habe. Die Kufa war für mich das, was Hoyerswerda ausmacht. Zumindest für mich. 

Olaf: Hast du Veränderungen in deiner Wahrnehmung bemerkt?

Helene: Ich hab auf jeden Fall einen Veränderungsprozess bei mir mitgekriegt. Ich glaube, ich war sehr lange immer wieder sehr frustriert von Entwicklungen, weil die Sachen, die ich mitgekriegt habe, die die Kufa früher gemacht hat oder aus dem die Kufa auch entstanden ist, mit den ganzen Laden-Sachen (Jugendklub Laden) und so, die habe ich immer extrem bewundert und das war immer so ein So-möchte-ich-auch-mal-sein-Ding und ich war dann einfach sehr lange sehr frustriert, dass es halt nicht mehr genau dasselbe ist. Und ich hab mir immer so Videos von alten Aktionen angeschaut. Selbst Sachen wie die Malplatte, wo ich nicht so richtig aktiv daran mitgewirkt hab, aber das war altersmäßig noch irgendwie nah genug dran. Sodass ich dachte, boah das war so cool und jetzt macht Kufa sowas nicht mehr. Was ich jetzt im Nachhinein einfach auch einen albernen Gedanken finde. 

„Ich glaube auch, da spielt voll mit rein, 
dass Hoyerswerda so ein bisschen
stagniert in der Schrumpfung.“

Helene: Ich weiß, wo der Gedanke herkam, dass, wenn man jung ist, man gesamte Entwicklungen nicht begreifen kann. Aber diese Wandlung von – Boah-irgendwie-hab-ich-das-Gefühl-alles-ist-nicht-mehr-so-cool-wie-früher und die-Kufa-blutet-so-aus bis hin zu wie-geil-ist-es-eigentlich-dass-diese-Stadt-noch-diesen-Verein-hat. Dass der es schafft, so mit der Zeit mitzugehen, auch wenn sich die Mitgliederstruktur so wandelt und dass das nicht ausläuft, und dass er es überhaupt schafft, sich zu verändern. Das ist eigentlich was unglaublich Gutes und Starkes. Ja, diesen Perspektivwechsel hatte ich auf jeden Fall. Ich glaube auch, da spielt voll mit rein, dass Hoyerswerda so ein bisschen stagniert in der Schrumpfung. Also, ich hab mir immer mal so diese Zahlen so angeguckt und ich erinnere mich, vielleicht seit ich zwölf bin oder so, da hab ich regelmäßig online geguckt, wie ist gerade die Einwohnerzahl. Und die ersten paar Jahre wie ich das gemacht habe, wurde es halt immer weniger und das fühlte sich so scheiße an. So ein nicht gewinnbarer Kampf und das ist jetzt irgendwie vorbei. Ich glaube nicht nur, dass das ein Perspektivwechsel bei mir ist, sondern dass das auch wirklich faktisch begründet ist, dass jetzt irgendwie nochmal einen Aufschwung da ist. 

„Ich glaube, in Hoyerswerda geht das 
und muss auch passieren, 
dass alle irgendwie miteinander reden.“

Olaf: Ein Aufschwung? In Hoyerswerda?

Helene: Wie genau der aussieht, da bin ich jetzt gerade erst dran das zu greifen. Dass das nicht mehr Jugendkultur ist, obwohl die natürlich auch voll wichtig ist, keine Frage, aber dass das jetzt auch nicht mehr krasse, junge Avantgarde sein kann, weil das auch einfach nicht mehr die Stadt ist, sondern dass das vielleicht eine ganz andere, irgendwie coole zivilgesellschaftliche Richtung geht. Ich glaub, das passiert wirklich und das macht mir ein positives Bild auf Hoyerswerda. So weit, dass ich weiterhin in Betracht ziehen würde, vielleicht in Zukunft zurückzukommen und mich hier zu engagieren. Was Hoyerswerda total geil macht, ist, dass es einfach nicht so groß ist. Und das war auch schon immer was, was ich daran bewundert habe, dass es total leicht ist, diese Stadtgesellschaft zu greifen oder zu verstehen. „Leicht“ ist vielleicht das falsche Wort. Aber auf jeden Fall „leichter“ als sowas wie Leipzig, wo das einfach ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ich glaube in Hoyerswerda geht das und muss auch passieren, dass alle irgendwie miteinander reden. Und vielleicht kann man da sogar diesen Bogen schlagen zu irgendwie gemeinschaftlichen Wohnkonzepten oder so. Ich mag, wie gesagt, Individualisierung nicht so und ich finde es irgendwie total wichtig, miteinander in Austausch zu treten und nicht nur ausschließlich auf der Wohnebene, sondern vielleicht auch in der Kulturarbeit oder generell in der zivilgesellschaftlichen Arbeit innerhalb der Stadt oder Community. Und da kann man natürlich in Hoyerswerda viel mehr bewirken und verstehen als irgendwo anders. Und natürlich ist Hoyerswerda für mich reizvoll, weil ich da einfach schon Anknüpfungspunkte habe. Man kann das Modell bestimmt auf andere Städte auch übertragen. Na ja, ist mir bloß grad so als Gedanke gekommen.

Olaf: Gucken wir doch nochmal auf die Kufa. Gab es irgendwo einen Umschlagpunkt von geil in frustriert oder umgekehrt? Was hast du da wahrgenommen völlig unabhängig davon, wie du das aus heutiger Sicht bewerten würdest.

„Es gab diesen Umschlagpunkt in die
andere Richtung. Ich habe es  bei
‚Eine Stadt tanzt: Manifest!‘ gemerkt.“

Helene: Als 2015 dieser Umzug in das neue Haus kam, fand ich dann alles total doof. Voll lame, vorbei mit Subkultur. Früher war die Kufa DIY-mäßig (DIY = Do-it-yourself) drauf, alles ein bisschen abgeranzt. Das war geil. Und dann war da dieser schicke Bau und das macht natürlich was. Aber ich glaube, es lag nicht ausschließlich daran. Diese Frustration von alle-coolen-Projekte-sind-passiert-als-ich-das-noch-nicht-so-richtig-mitgekriegt-habe, das gab es schon vorher. Es gab auch diesen Umschlagpunkt in die andere Richtung. Ich habe es zum ersten Mal bei „Eine Stadt tanzt: Manifest!“ gemerkt. Das war in meiner Abi-Phase, da hab ich voll viel Zeit mit verbracht und hatte Bock, mich da einzubringen. Und da hab ich zum ersten Mal gemerkt, boah, die können es noch! Also vielleicht nicht im Sinne von total-Underground-Grunge, aber im Sinne von so viele Sachen zusammenbringen und daraus wirklich auch auf künstlerischer Ebene so was Geiles zu schaffen. Und da hatte ich dann auch zum ersten Mal den Gedanken, dass dieser ganze Strukturwandel ein Quell an Energien ist, die hier gerade da sind und dass die Energien der Kufa noch nicht erschöpft sind, sondern sie sich vielleicht einfach in eine andere Richtung entwickelt und jetzt eine andere Motivation hat und ist vielleicht auch erwachsener ist. Aber das macht es deshalb nicht weniger cool. Und es ist ja auch nicht so wirklich produktiv, sich die ganze Zeit nur darüber zu ärgern, dass Sachen nicht genau so bleiben wie sie es schon immer waren, sondern dass es viel cooler ist und viel mehr Spaß macht, sich mit diesen neuen Energien zu beschäftigen. Also den Umschwung gab es. 

4. Was müsste passieren, damit du nach Hoyerswerda zurückkehrst?

Olaf: Setzen wir uns mal auf diesen Begriff rauf – „neue Energien“. Was vermutest du, steckt hinter diesen neuen Energien? Worauf zielen die? Kannst du das beschreiben? 

Helene: Was neue Energien angeht, würde ich es an Einzelaspekten festmachen, die irgendwas in mir bewegt haben. Dazu zählt, dass ich merke, dass mit diesem Strukturwandel einfach noch andere Fördergelder locker gemacht werden. Ich glaube, dass viele Projekte an diesen Gedanken anknüpfen können und – gefühlt – gesamtdeutsch oder überregional nochmal eine andere Relevanz finden. Ich glaub das hängt auf jeden Fall auch mit – also mein Gefühl – mit Grits Buch („Kinder von Hoy“ von Grit Lemke) und auch mit diesem 1991-Jubiläum (30. Jahrestag des Pogroms in Hoyerswerda) zusammen. 

„Das ist vielleicht total subjektiv, aber 
ich glaub, da hat sich irgendein Knoten 
angefangen zu lösen.“

Helene: Es gab durch dieses Buch nochmal eine Aufarbeitung von Vergangenheit und einen Umschwung im Verständnis für bestimmte Prozesse, wieso Sachen so passiert sind, wie sie passiert sind und wieso auch die Aufarbeitung so passiert ist, oder nicht passiert ist. Das ist vielleicht total subjektiv, aber ich glaub da hat sich irgendein Knoten angefangen zu lösen. In dieser Gruppe von Menschen, die in dem Buch beschrieben werden und die mit der Stadt zu tun hatten. Ich hab auch das Gefühl von Rückkehrertum, im Sinne von, dass die Leute, die nach Berlin gezogen sind, vermehrt Anstalten machen, nochmal in die Stadt zurück zu kommen und sich damit zu beschäftigen. Ich glaube, das hängt alles zusammen und macht auch was mit mir. Und ich glaube auch, dass wir deshalb diese Energie mit dem Jugendklub (Postkosmos) hatten. Ich hab mich da jetzt rausgenommen, ich hab’s einfach kapazitätsmäßig nicht geschafft. Und bin gerade auch nicht in einem Lebensabschnitt, dass ich mich mit Hoyerswerda beschäftige. Ich glaub aber, das kann sehr gut wieder passieren. 

„Wenn man die Energie hat, ist es gar
nicht so schwer. Das lässt mich nochmal
anders auf die Stadt blicken.“

Olaf: Was hat die Arbeit daran, einen Jugendklub zu gründen, mit dir gemacht?

Helene: Dass mit dem Jugendklub, das war krass. Das war so ein „Traum“, den ich schon lange hatte, Hoyerswerdas Jugendclub-Leben mitzugestalten. Wo ich eine kleine Gruppe an Leuten gefunden hatte, die das genauso wollten, die da hinter standen und dann macht man sowas einfach. Schritt für Schritt, man macht natürlich auch frustrierende Prozesse durch. Aber man macht es überhaupt mal. Ich glaub, das hat bei mir zumindest nochmal für ein Umdenken gesorgt, dass Sachen gehen. Wenn man weiß, wie man an sie herangeht, dann müssen Sachen nicht immer bloß Wunschdenken bleiben. Es ist nicht unmöglich einen Förderantrag für irgendwas zu schreiben und ein Projekt umzusetzen. Und das ist, was ich vielleicht auch außerhalb von Hoyerswerda hier im Studium gelernt habe und generell jetzt auch in der Kulturarbeit in Leipzig. Wenn man die Energie hat, ist es gar nicht so schwer. Und das lässt mich auch nochmal anders auf die Stadt blicken, sodass ich vielmehr Raum für großes Potenzial sehe, auch im Zusammenhang mit Ostdeutschland. Wenn man da gut argumentiert, dann hat man Fördermöglichkeiten. Und das ist irgendwie geil.

Olaf: Was müsste denn passieren in Hoyerswerda und in deinem Leben, dass du dich entschließen könntest zurückzukehren und du deine Energien hier in diese Stadt reinpumpst? Was fehlt da noch, dass du’s tun würdest? 

Helene: Mit dem Studium fertig werden. Und dass ich sagen könnte, dass ich die Studienzeit gut genug genutzt habe und genug erlebt habe. Ich will unbedingt nochmal ins Ausland. Ich hab Bock das praktika-mäßig voll auszukosten. Und vielleicht nochmal eine Instanz höher gehen. Je nachdem, was halt möglich ist. Dann hängt es vor allem an einem coolen Job. Ich glaub‘, die gibt’s hier. Ich hab eine Ausschreibung gelesen für professionelle VernetzerInnen in der Lausitz. So eine Art von Stelle müsste es sein. Keine Ahnung. Vielleicht ändert sich da auch nochmal was in meinen Interessen. Und natürlich beziehungsmäßig, was mir schon sehr wichtig ist, dass ich das auch mit meinem Freund zusammen planen will. Und da muss noch so ein Gespräch zwischen uns stattfinden, was für ihn selbst planungsmäßig in der Zukunft liegt. Und das ist ein Gespräch, was sich in den nächsten ein, zwei Jahren sicherlich anbahnt. Und da muss ich gucken, wo unser gemeinsamer Nenner liegt. Was ich jetzt aber auch nicht für ein Hindernis halte, vielleicht zurück nach Hoyerswerda zu kommen. Und natürlich würde die Möglichkeit von einem geilen Wohnkonzept auch helfen.

Das Interview wurde per WhatsApp geführt, zwischen dem 29. Oktober und 11. November 2024.