Fragend durch Hoyerswerda

Können die Stadt und die Lausitz das Ruder herumreißen und der Schrumpfung etwas entgegensetzen? Und wie geht das?

Ich habe 150 Tage in meiner neuen Wohnstadt Hoyerswerda durchgestanden. „Heimat“ will ich sie nicht nennen, das wäre unverschämt naiv. Brav praktizierte ich, was mir meine Oma einbleute als ich ein kleiner verschüchterter Knirps war: „Wenn du dich unter fremden Leuten unsicher fühlst, dann stell ihnen einfach Fragen!“ Hab ich gemacht. Die meisten meiner „zufälligen“ Alltagsbegegnungen gingen so durch einen voreingestellten Fragenfilter. Ob nun mit den abgeklärten Taxifahrern, die mich in die Reha-Klinik kutschierten. Oder die fleißigen Therapeutinnen, die geduldig meinen schlaffen Arm abspreizten oder mich einbeinig auf einem Keilkissen turnen ließen. Oder die gesprächige Gulaschkanonierin auf dem Marktplatz. Oder, oder, oder… ich hatte immer denselben Filter auf meinem Auspuff.

„Sind Sie aus Hoyerswerda?“ war meine klassische Eröffnung, um arglistig nachzufragen: „Und? Wie lebt es sich in Hoyerswerda?“ Sanft wie ein Quadfahrer lenkte ich das Gespräch durch die mir angebotenen Anknüpfungsworte. „Apropos… und, „Weil sie das gerade erwähnten…“ und suggerierte den Leuten, sie selbst bestimmten den Verlauf des Gesprächs, die netteste Art der Unterhaltung. Wussten Sie, dass ein Gespräch zwischen zwei Leuten mindestens drei Gespräche hat? Zwei Selbstgespräche und das eigentliche Gespräch. Lesen Sie mal Tom Andersen „Das reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über Dialoge. Anders gesagt: Ich drängte den Leuten mit meinen Fragen ganz eigensüchtig mein eigenes Selbstgespräch auf, das sich immer um dieselbe Sorge dreht: „Ist dieses H-o-y-e-r-s-w-e-r-d-a wirklich spannend?“ Was eigentlich meint: „Gibt es hier spannende Leute?“ Was wiederum eigentlich meint: „Machen die Leute hier was miteinander, was spannend ist für mich?“ Ja, für mich! Für wen denn sonst?

Mein banger Verdacht, dass ich zehn Jahre zu früh in eine Greisenstadt geraten bin, in der man bald nur noch dann jüngere Leute trifft , wenn sie an den Dienstleistungen mit gebrechlichen Leuten wie mir verdienen – fragen Sie mal das Taxi- , Reha-, Pflegedienst- und Bestatter-Geschäft – diesen Verdacht zu testen, leite ich mit der Frage ein: „Apropos Lausitzcenter, ich hörte, Sie sagen dazu Rentertunnel?“ Je nach Beißlust werde ich dann auch mal wagemutiger. Ich kürze jetzt ab und verrate nicht, wie ich das rhetorisch mache: „Haben Sie schon mal was von der Theorie der Kreativen Klasse gehört?“, leite ich meinen Vorstoß ein, „Ist eine amerikanische Wirtschaftstheorie, die sagt: Entscheidend für die Rettung sterbender Städte und Regionen sind ihre kreativen Köpfe, deren kreativer Output und die von ihnen ausgehenden Innovationen.“ Ich ergänze dann besänftigend: „Übrigens, Angehörige der kreativen Klasse finden sich in allen Bereichen der Arbeitswelt.“ Fühlen Sie sich persönlich also nicht ausgeschlossen! Und sehen Sie das nicht zu ingenieur-technisch mit den Innovationen. Googlen sie mal: ‚Kreatives Milieu’ oder das ‚Modell der drei T’ (Technologie, Talent und Toleranz)!

Und dann rücke ich mit der Frage heraus, die mich irgendwie am meisten umtreibt: „Hätte die Lausitz und das niedliche Hoyerswerda mittendrin, hätten die Leute hier das Zeug dazu, das Ruder in diese Richtung rumzureißen?“ Statt allseits diskutierter Schrumpfung und schleichendem Ausbluten vielleicht doch ein klitzekleines Bisschen originelle Zuwanderung? Nach dem Motto: Kreativ-City Hoywoy oder Kreativ-Region Lausitz? Ich gebe zu, ich ernte meist runzlige Stirnen oder ungläubige Kulleraugen, hatten wir doch das „zufällige“ Gespräch mit einem harmlosen Small Talk über die Stadt begonnen.

Und warum zum Teufel ist mir diese Frage überhaupt so wichtig? Was schert mich Stadt-Anfänger, wohin sich dieses Städtl und sein Umland hinentwickelt – in meinen letzten, großzügig geschätzten zwanzig Lebensjahren? Leide ich unter einer chronischen Weltverbesser-Neurose? Wechsle mal deinen Filter aus! Und halt dir das vom Leib – die unklare Zukunft der Stadt, diese hitzig diskutierte Ungewissheit. Leb hier einfach dein bescheidenes, kleines Leben. Wärme deine schöne, traurige Freundin, amüsier dich mit deinen freizeit-aktivistischen Bekannten, genieß im Sommer die Seen und im Winter deinen bunten Bildschirm. Werd halbwegs gesund, eine manierliche Hemiparese ist ja keine aussichtslose Krankheit. Und f-a-l-l-s du es hier nicht mehr aushältst, dann haust du wieder ab, machst ´ne Fliege, ergreifst die Flucht. So etwa tänzelt das Selbstgespräch in mir. Wollen Sie wissen, was man mir auf meine mir so super wichtige Frage antwortet? Machen Sie’s gefälligst selbst! Dann wissen Sie’s.

(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung Hoyerswerdaer Tageblatt 16./17.12.16)