Zum „14. Fachtag Bürgerschaftliches Engagement“ am 19.09. in Hoyerswerda, darf ich ein Grußwort sprechen.
Liebe Leute, liebe Gäste, mein Name ist Olaf Winkler. Ich bin der Ersatzmann für eine ehrenamtlich Engagierte, die ursprünglich gebeten wurde, ein Grußwort an Sie zu richten. Dazu müssen Sie wissen: In der Aufgabe, die ich für meine Mitstreiterin übernehme, stecken zwei ironische Umstände, die viel über Bürgerinitiativen aussagen. Und wenn nicht, dann zumindest über unsere.
Der erste ironische Umstand ist: Ich vertrete meine Mitstreiterin nur deshalb, weil sie ihrem Job nachgehen muss. Ein typisches Problem von ehrenamtlich Engagierten. Sie fehlen oft auf solchen Veranstaltungen und müssen Ersatzleute schicken. Und nur weil ich aus Gesundheitsgründen nicht mehr erwerbstätig sein kann, kann ich hier ihren Ersatzmann spielen.
Im zweiten Umstand verbirgt sich ebenfalls eine Ironie: Unsere Bürgerinitiative existiert gar nicht mehr. Sie hat sich aus Zeitgründen zur Ruhe gesetzt. Mein Grußwort nutze ich deshalb als Grabrede auf eine Bürgerinitiative, die in der Regel nicht gehalten wird, weil sie am Anfang kaum bemerkt und am Ende nicht vermisst wird.
Unsere Bürgerinitiative hieß „Mitmachstadt Hoyerswerda“. Sie existierte für etwa sechs Jahre und entstand nach den Stadtratswahlen 2019. Das Besondere unserer Gruppe war ihre Zusammensetzung. Altersdurchschnitt unter 40, mehrheitlich weiblich. Nicht so schlecht, wenn man sie mit einer anderen ehrenamtlichen Engagement-Form vergleicht – unserem Stadtrat. Dieser hat einen Altersdurchschnitt von 55 plus und ist zu drei Vierteln von Männern besetzt.
Unsere Bürgerinitiative bestand aus einem Orga-Team und vier Gruppen: Einer Fahrradstadt-Gruppe, einer stadtentwicklungs-engagierten Gruppe, einer kulturhistorisch-engagierten Gruppe und einer ökologisch-engagierten Gruppe. Wir haben zeitweise eine gewisse Aufmerksamkeit in der Stadt erregt, haben bei mehreren Wettbewerben Preise gewonnen und verfügten über ein finanzielles Budget, das wir für unserer Herzens-Projekte nutzten. Herzensprojekte die in der Welt der Engagierten – überall so ziemlich die immer gleichen sind. Ich bin mir sicher, dass ich bei ihnen damit kein Erstaunen auslösen würde.
Ich möchte Sie deshalb nicht mit unseren Projekten und Lorbeeren behelligen, sondern mit einigen Lehren, die wir als Bürgerinitiative machen durften. Ich gehe auf fünf Lehren ein.
1. Lehre: Kenne die Vision deiner Bürgerinitiative. Sie ist der beste Schutz vor einer typischen Krankheit der Engagierten, die Krankheit der Projektitis. Weniger ist mehr. Die Hauptsache ist nicht das Resultat. Wichtiger ist, dass in deinen Projekten eines spürbar wird: deine Vision.
Unsere Vision haben wir mit einem geklauten Zitat von John F. Kennedy ausgedrückt. Das Zitat lautete: „Frage nicht, was deine Stadt für dich tun kann, sondern was du für deine Stadt tun kannst.“ – Auch in unserem Namen steckte unsere Vision: Mitmachstadt Hoyerswerda.
In der Rückschau – glaube ich – war unsere Initiative ein Reflex auf den faszinierend ausdauernden Groll der Bürgerinnen und Bürger gegenüber unserer Stadtpolitik, die bekanntlich zwei Seiten hat: Stadtrat und Stadtverwaltung. Uns verband der Wunsch, dass die Stadtpolitik aufhören sollte zu glauben, sie hätte die Bürgerschaft einfach nur zu regieren. Und umgekehrt wünschten wir, dass die Bürgerschaft aufhören sollte zu glauben, es genügt sich vertreten und regieren zu lassen – durch gewählte Repräsentanten und von ihnen eingestellte Beamte.
Wir wollten – ohne Mandat und ohne komplizierte Organisationsstruktur – die Leute ermutigen und ihnen ermöglichen, selbst etwas zu tun. Wir wollten Zusammenhalt stärken – durch Mitmachen. – Im Nachhinein muss ich gestehen: diese Vision war – größenwahnsinnig und naiv.
Ich glaube, die Stadtpolitik verstand unsere Vision zu keiner Zeit. Sie nannte uns freudetrunken und etwas hilflos – „Beteiligungselite“.
2. Lehre: Mitmachen muss Spaß machen. Doch du musst dabei einen Umweg gehen: Mitmachen ist immer Überwinden von inneren und äußeren Widerständen. Mitmachen ist also immer – Konflikt. Willst du also Spaß, heißt das: Konflikt muss Spaß machen. Macht Konflikt keinen Spaß oder kriegt man es nicht hin, dass er Spaß macht – dann gilt ein einziger Grundsatz – Hände weg davon!
3. Lehre: Sei aufrichtig und schäme dich nicht, wenn du keine Kraft mehr hast, eine Bürgerinitiative am Leben zu erhalten. Engagement und Aufopferung schließen sich aus. Engagement funktioniert nur, wenn es dich selbst erfüllt. Wenn nicht – Hände weg davon!
4. Lehre: Wenn du spürst, die Zeit für deine Vision ist zu früh oder zu spät oder vorbei, wechsle das Geschäft: Werde Schmuggler. – Schmuggle deine Vision dort ein, wo sie weiterleben kann, wo sie besser aufgehoben ist, wo sie größere Chancen hat, zu überwintern.
In unserem Fall und für unsere vier Gruppen bedeutete das: Die Natur-engagierte Gruppe ging auf in der Gründung einer Ortsgruppe des NABU und in der Unterstützung für eine Vereinsgründung der Solidarischen Landwirtschaft. Die Fahrradstadt-Gruppe löste sich geräuschlos auf. Zwei ihrer berenteten Mitglieder unterstützen in Fragen der Fahrradmobilität weiterhin Fachbereichs-Angestellte der Stadt. Die kulturhistorische Arbeitsgruppe schuf die Voraussetzungen für ein großes kooperatives Projekt unter dem Titel „Erlebnisstadt Hoyerswerda“. In diesem Projekt werden etwa ein Dutzend kulturhistorischer Stadtpfade – in einem touristischen Erlebnis-Format zusammengefasst. Und nach und nach umgesetzt. Die stadtentwicklungs-engagierte Gruppe nahm den abenteuerlichsten Weg und agiert jetzt im Schatten einer Stadtrats-Fraktion. Sie übt sich am Bohren ganz dicker Bretter.
5. Lehre: Sie ist die vermutliche wichtigste für die Vision des Zusammenhalts einer Stadt durch Mitmachen: Bringe so viel wie möglich und so oft wie nötig unversöhnlich-gegensätzliche Perspektiven von Anfang an in Kooperation. Schaffst du es nicht, lass die Finger davon. Die Stadtgesellschaft wimmelt von Macht-Menschen, gegen die du nur eine Chance hast, wenn du die Kunst und die List der „antagonistischen Kooperation“ anwendest. Diese Methode zielt darauf, Interessen-Egoismen zu überwinden, indem man sich durch externe Coachs dabei helfen lässt, verlorene Gemeinwohl-Vorstellungen wiederzuerwecken. Über diesen Umweg steigen die Chancen, das Unversöhnliche zu versöhnen. Vertreter und Jünger dieser sehr speziellen Kooperationsform sprechen mittlerweile vom demokratischen Katastrophenschutz. Vom heiligen Gral der Demokratie. – Auch hier erwies sich unsere Bürgerinitiative als kluger Schmuggler. Im Beteiligungsformat des Kommunalen Entwicklungsbeirats gelang genau dies. Allerdings mit einem eher harmlosen Projekt namens „Grüner Saum“.
Sollte unsere Stadtgesellschaft die größenwahnsinnige Vision einer Mitmachstadt nochmals starten wollen, sollte dieses Prinzip – in entsprechenden Formaten – ganz bewusst gesucht, organisiert und strukturell garantiert werden. Hierbei könnte ein zweiter Leitsatz helfen. Und zwar aus „Pippi Langstrumpf“. Er lautet: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“
Genug geschwafelt, verzeihen Sie mir, dass ich Sie ungefragt als Trauergemeinde missbrauchte, um dieser Grabrede beizuwohnen. Zum Schluss wünsche ich Ihnen, im Namen unserer mumifizierten Bürgerinitiative, für die nächsten vier Stunden einen sie befriedigenden Input für das eigentliche Thema des Fachtages: „Perspektiven für das heutige Engagement – inspiriert, vernetzt, finanziert“. – Vielen Dank.