Wie man aus einer kollektiv angeeigneten Sagen-Figur ein solidarisches Bündnis vermeintlich verlorener Orte schmieden könnte
1. Drei Ausgangspunkte des Vorhabens
1. Im Jahre 1660 kommt der hochgebildete kroatische Offizier Janko Sajatovic (deutsch: Johann von Schadowitz) mit einer Einheit von 60 Reitern und 96 Pferden aus Kroatien nach Sachsen, um am Dresdner Hof seinen Dienst in der Leibgarde des sächsischen Kurfürsten Johann Georg II. anzutreten. Nach seiner Pensionierung bleibt Sajatovic in Sachsen und leistet einfallsreich „Entwicklungshilfe“ in der strukturschwachen sorbischen Oberlausitz. Nach seinem Tod 1704 verwandelt der Volksmund Sajatovic („Krabat“ = „Croat“) in die Sagenfigur vom „guten sorbischen Zauberer Krabat“. Über drei Jahrhunderte bleibt die Sagenfigur sowie die historische Leistung von Sajatovic in Kroatien unbekannt. Im Zuge der Übernahme des EU-Ratsvorsitzes (01.01. bis 30.06.20) durch Kroatien wird er nun als eine nationale Symbolfigur europäischer Integration wiederentdeckt und exponiert.
2. Findet die historische Figur Krabat/Sajatovic in Kroatien nun eine ungewöhnliche kulturelle und politisch aufgewertete Renaissance, erlebte sie in der Oberlausitz bereits zwischen 2001 und 2015 eine kulturelle Wiederentdeckung als regionale Identifikationsfigur „Krabat“ sowie eine wirtschaftliche Aufwertung als regionale Marke. Gleichzeitig gelang der kulturellen Identifikationsfigur „Krabat“ – durch günstige Umstände – eine überregionale Bedeutung (erfolgreiche Verfilmung des Ottfried Preußler Bestseller-Romans sowie die Installation der Krabatfestspiele in Schwarzkollm). Jedoch mutet die wirtschaftliche „In-Wert-Setzung“ von Krabat/Schadowitz verhältnismäßig bescheiden an. Über ein Merchandising bestimmter regionaler KRABAT-Produkte (Milch, Käse, Bier u.a.) ging dies nicht hinaus.
3. Mit der Wiederentdeckung der hinter der Sagenfigur versteckten „echten“ historischen Figur durch den Heimatforscher und Autor Hans-Jürgen Schröter und des Wissenstransfers über den „Doppelcharakter“ von Krabat in seine kroatische Heimat, öffnet sich nunmehr die Tür zu einem völlig neuen und zugleich erweiterten „Verwertungs“-Verständnis von Krabat/Sajatovic. Dies erhält durch einen weiteren Umstand neue Relevanz: Im Sommer 2019 gründete sich in Hoyerswerda ein Stadtmarketing-Verein, bestehend aus lokalen Wirtschaftsunternehmen, der programmatisch auf die Krabat-Figur zurückgreift: „Hoyerswerda – Familienstadt im sagenhaften Krabat- und Seenland“. Ein weiterer lokaler Versuch, aus der Misere strukturschwacher „Verdammnis“ herauszutreten.
Die Idee des Vorhabens
Ausgehend von den markanten Zentren der alten historischen Passage von ca. 1.500 km über Kroatien (Zagreb), Slowenien (Ptuj), Österreich (Graz, Wien), Tschechien (Brno, Prag) nach Deutschland (Dresden, Bautzen) möchte sich die alte Passage unter der Perspektive von Krabat (Sajatovic/Schadowitz) als „Entwicklungshelfer“-Passage für strukturschwache Orte neu aufstellen. Das Konzeptionsprojekt möchte ganz bewusst strukturschwache Zwischen- und Nebenorte dieser Passage identifizieren, die Schatten- und Nebenorte jenseits der erfolgreichen und bekannten Routen-Zentren entdecken, ausleuchten und erforschen. Ziel ist es, die Passage zu verwandeln in eine internationale, „solidarische“ Transitstrecke von „Geschwisterorten“ für regionales Wissen über die Entwicklungspotentiale vermeintlich verlorener Neben-Orte („Mauerblümchen“).
Ein erstes soziokulturell höchst wirksames Bausteinprojekt dazu könnte ein Krabat-Kultur- und Kunstross sein, der mit vorproduzierten soziokulturellen Produkten (Film, Theater, Musik, Ausstellung u.a.) zu einer ersten Forschungsreise aufbricht und (sozialwissenschaftlich begleitet) den ursprünglichen Weg von Janko Sajatovic auf geografisch umgekehrten Weg zurückgeht – von der deutschen Oberlausitz zurück in die kroatische Zumberak-Region. (siehe Beispiel-Projekt 4a)
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