Wer Themen setzt, ist auf der Siegerstraße. Vielleicht sollten wir daher mehr über die Zukunft von Hoyerswerda sprechen.
Schnee von gestern? Ich muss noch mal auf die Bundestagswahl im September zurückkommen! Zwei Tage nach der Wahl sitze ich in der Hoyerswerdaer Stadtratsversammlung. Hingegangen war ich eigentlich, weil ich erfahren hatte, dass die Stadträte über das Handlungsprogramm zum Stadtleitbild abstimmen wollten. Euphorisch-metaphorisch hatte ich in meiner Juli-Kolumne verkündet, dass dies der Amboss werden könne, auf dem die Zukunft der Stadt geschmiedet wird. Der Amboss zum „Hammer“ – wie ich das Leitbild „Hoyerswerda 2030“ benannte – mit nicht minder großmäuliger Euphorie.
Man könnte auch schlicht „naiv“ sagen, wie mein hartgesottener Redakteur mir spöttisch die „Amboss-Hammer“-Benennung durchgehen ließ. Na schön, so saß ich also erwartungsvoll, Hummeln im Hintern, acht Tagesordnungspunkte noch vor mir. Da meldet sich ein gut aussehender und noch besser frisierter, jüngerer Bürger beim Tagesordnungspunkt Bürgerfragen und stellte eine bärbeißige Frage, eingebettet in eine grimmige Vorrede. Ich schätzte ihn in seinen 30ern. Er verdarb mir gründlich die Stimmung. Als er sich erhob, schien der Oberbürgermeister irgendetwas zu ahnen, denn er fragte: „Sind Sie Bürger dieser Stadt?“ „Jaja, ich wohne in der Altstadt.“ Und dann legte der junge Mann los: „Am Sonntag ist eine rassistische Partei in den Bundestag eingezogen. Was will die Stadt tun, damit diese Leute nicht nach der nächsten Kommunalwahl den Stadtrat mit über 30 Prozent besetzen?“
Es war ohrenbetäubend leise im Saal. Kein Beifall, das Publikum totenstill, die Stadträte schwiegen. Was der Bürgermeister entgegnete, habe ich vergessen. Ich gebe zu: Ich hätte auch nichts zu sagen vermocht, außer übliche Stereotype abzusondern. Das Volk hat gesprochen, so ist das eben. In Rekordzeit arbeiteten die Stadträte ihre Tagesordnungspunkte durch. Eine Stunde, 15 Minuten. Gut vorbereitet? Routine? Lustlosigkeit? Ich dachte zurück an den lokalen Wahlkampf: „Besser ein guter Polizist in Hoyerswerda als ein lausiger Politiker in Berlin“, scherzte mein böser Redakteur. Ein Freund rief angesichts der dicht gepflasterten Wahlplakat-Straßen spontan aus: „Patronen-Hilse!“ Zur Ehrenverteidigung muss man erwähnen, dass unser weltoffenes TAGEBLATT unseren neuen Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse (AfD) mit der Überschrift „Ich bin kein Nationalist“ porträtierte.
Um zu verstehen, was passiert ist, klammere ich mich an das, was mein Dramaturgen-Kollege Thomas Oberender in seinem Zeit-Artikel „Die Mauer ist nicht gefallen“ schrieb: „Der Wahlkampf wurde 2017 nicht durch Debatten über Gerechtigkeit gewonnen, sondern mit Fragen nach unserer Kultur und Identität. […] Die Partei mit dem größten Wählerzuwachs (ist) genau jene, die wiederum ins Alte führt, aber ihre Stimmen überwiegend jenen verdankt, die nicht das Programm der AfD unterstützen, sondern der Rache an den «Etablierten» Ausdruck verleihen. Sie sind der Statistik nach mehrheitlich nicht überzeugt rechtsnational, somit ist es die Chance […] der demokratischen Parteien, diese Wähler zurückzugewinnen …“ Er trifft für mich den Nagel auf den Kopf, wenn er ergänzt: „Auch, wenn der materielle Wohlstand zunahm, entstand bei Teilen der sich abgehängt fühlenden Ostdeutschen ein Gefühl von Verlust und Entwertung der eigenen Lebensgeschichte. Sie sind nicht einmal mehr ein Problem, man übersieht sie wie das Personal im Hotel.“ Nun hat das Personal zugeschlagen, an der vermeintlich einzig wirkungsvollen Adresse demokratischer Teilhabe, der Wahlurne.
Dem jungen Störenfried aus dem Stadtrat bin ich irgendwie doch dankbar für seinen Tritt auf die Bremse. Ich bin nicht sicher, was man Ernstzunehmendes machen kann. Ich weiß nur, ich mag das nationale Gesabbel nicht. Das Gelaber über „verwöhnte Paschas“, die dröge Debatte darüber, was „die“ vermeintlich alles so kriegen, und was es für „uns“ und unsere Kinder angeblich nicht gibt… Als würde es mehr geben, wenn die Flüchtlinge nicht da wären. Sie sind die falsche Adresse.
Doch! Jetzt fällt mir ein, was ich meinem Störenfried antworten könnte: Die Mehrheit bekommt, wer bestimmt, worüber gesprochen wird. Reden wir also mehr über das lokale Leitbild, zu dessen Handlungsprogramm ich ja eigentlich berichten wollte. Sich darauf konzentrieren, was man beeinflussen kann, und sich für konkrete Projekte einsetzen, die einen persönlich überzeugen, und mit diesem (unbekannten) Dokument richtig Dampf machen! Ein deutsch-nationales Angstpapier ist es nämlich nicht. Es heißt: „Hoyerswerda 2030 – für eine solidarische, selbstbewusste und weltoffene Heimatstadt“.
(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 20./21.10.17)