Das Ringen von Teilen der Hoyerswerdaer Bürgerschaft um Mitbestimmung eignet sich als Tanztheater-Stück
Seit einiger Zeit wühle ich mich durch interessante Broschüren über Hoyerswerdas jüngste Geschichte. Das mache ich, weil ich zum Team vom Tanzveteran Dirk Lienig gehöre, der jetzt mit etwa 100 Leuten der Kufa-Tanzkompagnie, dem Bürgerchor und der Theatergruppe „einmaldiewoche“ ein neues Projekt auf die Beine stellt. Es wird am ersten Juni-Wochenende im ehemaligen Centrum-Warenhaus aufgeführt wird und trägt den Titel: „Eine Stadt tanzt: Manifest!“ Lienig wollte sich an ein getanztes Bürger-Manifest wagen. Ich sagte ihm, dass die Stadt sowas ähnliches schon habe – ein Leitbild und ein Handlungsprogramm, das allerdings vermutlich kaum jemand kennt. Aber vielleicht ließe sich daraus was machen, ehe wir das Fahrrad neu erfinden. Gesagt, getan.
Wie ein Jagdhund schnüffle ich seitdem in Hoyerswerda zum Thema Bürgerbeteiligung nach tanzdramatischem Potenzial und schlage ständig an. So in der Broschüre „Superumbau Ost – Superumbau Hoyerswerda“, die auf der Grundlage von Tagungen aus dem Jahre 2001/02 entstand. Die Sächsische Akademie der Künste hatte damals ihre Sektion „Baukunst“ zusammengetrommelt und diskutierte über die Perspektiven von Hoyerswerda.
Hier stoße ich auf interessante Rede-Passagen: „Wolfgang Hänsch: Unabhängig von den Anregungen aus unserem Kreis scheinen mir die wesentlichen Vorschläge aber von den Hoyerswerdaern selbst zu kommen. Ich habe den Eindruck, dass in Hoyerswerda ein Organisationsdefizit besteht, dass diese interessanten Gedanken zur Entwicklung eines Leitbildes nicht aufnimmt und organisiert. (…) Aber wer organisiert das? … das Land Sachsen hat kein Interesse. Das müssen die Hoyerswerdaer selbst in die Hand nehmen. (…) Axel Schultes: Was sollen wir als Akademie der Stadt für Empfehlungen geben, wenn wir uns nicht an den Menschen orientieren, die hier leben? (…) Dass die Stadt das Vordenken nicht übernehmen will… kann ich nicht begreifen. Da ist etwas faul im Staate Hoyerswerda.“
In einem anderen Dokument lese ich, wie sich Mitglieder einer Bürgerinitiative äußern: „Wir haben kein Echo gefunden bei der Stadtverwaltung (…) Wir haben immer wieder versucht mit denen ins Gespräch zu kommen. Aber die haben es nicht ein einziges Mal (mit uns) versucht. Freilich sind wir dann auch immer hingegangen und haben ein bisschen geschimpft (…) Wir waren aber auch frustriert.“ Ein starker, fast tragischer Konflikt zwischen der Stadtpolitik und einer Bürgerinitiative. Aber es kommt noch besser! „Die Verwaltung und der Stadtrat (haben) das als Einmischen gesehen und diese Bürgerbeteiligung… gar nicht gewollt!“
Dann lese ich, was sich die Leute von der Bürgerinitiative anhören mussten: „Oh Gott, was kommen da schon wieder für Vorschläge? Was wollen die schon wieder? Warum lassen die uns nicht unsere Arbeit machen? Ständig wird man hier kritisiert! Seid Ihr verrückt, wie geht Ihr denn mit uns um? Wir machen hier unsere Arbeit, und Ihr macht uns nur runter, Ihr Nestbeschmutzer!“ Da flogen offensichtlich die Fetzen. Und irgendwann flog gar nichts mehr. Beleidigtes Schweigen und Verhungern-Lassen am langen Arm? Eine „toxische Beziehung“ sagt die Psychologie dazu. Innerhalb der Stadt. Zwischen Stadtpolitik und Teilen der aktiven Bürgerschaft. Damals. Dann lese ich: „Wir haben uns aufgelöst, im November 2007, weil wir gesehen haben, dass das alles keinen Sinn mehr machte.“
Neun Jahre später strande ich in Hoyerswerda, mitten hinein in den nächsten Versuch städtischer Selbst-Sortierung. Ich erfahre von einem kleinen „Aufstand“ der Bürger im April 2015. Die Stadtverwaltung hatte zu einer Bürgerversammlung zum Thema Stadtentwicklungskonzept (SeKo) geladen, auf der sich der Bürgerunmut entlud. Ich schaue auf YouTube die Elsterwelle TV-Beiträge durch und werde fündig! Im Beitrag „Abrissdiskussion in Hoyerswerda“ sehe ich unseren Oberbürgermeister auf seinem Stuhl festgenagelt vor einer erregten Bürgermenge. Was für ein tolles Dokument! Und tatsächlich passierte dann etwas! Die Stadtverwaltung lenkte ein und baute 2016/17 das „Organisationsdefizit“ hinsichtlich der Bürgerbeteiligung ab. Das Verhältnis von Stadtverwaltung und Bürgerschaft entgiftete sich. Zahlreiche Bürgerversammlungen finden statt. Das 2011 extern beauftragte Leitbild wird zur Überarbeitung an die Bürger freigegeben. Im Mai 2017 segnen die Stadträte das bürgerbeteiligte Leitbild mehrheitlich ab. Im Herbst winken Sie das dazugehörige Handlungskonzept durch. Das ist jetzt fünf Monate her… Ende 1. Akt!
(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung/Hoyerswerdaer Tageblatt 28.04./29.04.18)