Ein wissenschaftlich basiertes Konzept zur Optimierung der Patienten-Pflege trifft auf Widerstand.
Die beiden hatten sich bei mir gemeldet. Sie fänden nirgendwo ein Ohr, sagten sie, und wüssten nicht mehr weiter. Es ging um einen Arbeitskonflikt. Ich wusste, das ist eigentlich nicht mein Job, sondern der von professionellen Journalisten. Doch ich fühlte mich gebauchpinselt. Und weil mir klar war, dass ihnen das Herz auf der Zunge liegen würde und ich so schnell gar nicht mitschreiben könnte, entschloss ich mich zu einer Tonaufnahme. Die sauer bezahlte Transkription des Interviews schicke ich nun zum TAGEBLATT und hoffe, dass sich jemand dahinter klemmt. Einstweilen spiele ich den eitlen Tastatur-Robin-Hood. Fangen wir an.
Die Beiden vor meinem Mikrofon sind Mitarbeiter am Lausitzer Seenlandklinikum. Ich konnte kaum glauben, was sie mir da für eine Geschichte erzählten. Irgendwie klang sie altbekannt. Das Gesamt-Personal eines Gesundheitskonzerns, hier die SANA Kliniken AG mit dem Hoyerswerdaer Ableger, dem Lausitzer Seenland-Klinikum, ist systemisch bedingt darauf getrimmt, seinen nur bedingt verständnisvollen Aktionären Gewinnzahlen vorzulegen. Auch Rendite genannt, ein anderes Wort für Profitrate. Doch wie erreicht man in der Gesundheitswirtschaft Gewinne? Na? Richtig! Indem die Einnahmen, die man mittels Patienten erzielt, höher sind als die Kosten, die man an ihnen aufwendet. Und: Welches ist der höchste Kostenanteil, den man senken müsste?? Na? Gääääähn! Natürlich die Personal-Kosten. Was macht also das für die Gewinnzahlen verantwortliche Führungspersonal? Es zieht in die Schlacht um die „Optimierung“ von Personalaufwand bei der Patientenbetreuung. Und an genau dieser Stelle schlüpft nun jeder in seine ihm zugewiesene Rolle: Die Geschäftsleitung spielt die Generalität, die Fachdienstleitungen die Hauptmänner. Die Teamleiter spielen die Feldwebel und das einfache, mittlere medizinische Personal die gemeinen Soldaten. Die letzten beiden Rollen sind die „Frontschweine“ in dieser Schlacht. Und schon stecken wir mitten im klassischen Marionettenspiel-Gemetzel drin. Jeder hängt irgendwie am Faden des andern. Und zerrt jemand im anonymen Profitraten-System daran, schreit irgendwo eine Gliederpuppe auf.
Kommen wir nun zur eigentlichen Story, die ich hier ganz aus der Sicht der beiden „Frontschweine“ erzähle: Im Klinikum gibt es seit geraumer Zeit ein wissenschaftlich basiertes Konzept zur Optimierung der Patienten-Pflege. Ganz vereinfacht erklärt: Um den Personaleinsatz am Patienten zu optimieren, wird vom Standpunkt des monetären Aufwands, sprich von zu bezahlender Arbeitszeit, das Pflege-Personal in eine Art bereichsübergreifendes „Springer“-Personal verwandelt, um es zielgenauer, flexibler und mit höherer Auslastungsquote am Patienten einzusetzen. Wie es aussieht wurde mit dieser Methode der Auslastung eine gewisse Kostenersparnis erreicht, doch die Arbeitsverdichtung hat so zugenommen, dass jetzt eine Schmerzgrenze überschritten scheint.
Die beiden vor meinem Mikro sind vermutlich nur die ersten, die öffentlich aufschreien wollen. Ich habe mal auf der eindrucksvoll-transparenten Website des Klinikums nachgeschaut: 339 Pflegekräfte sind im Klinikum tätig. Die zwei Mitarbeiter berichten nun von bösen „Geister-Erscheinungen“ in ihrer Abteilung. Ich fasse mal zusammen: 1. Die Kommunikation der Personalhierarchien geschieht nicht mehr auf Augenhöhe, sondern sie ist angst-, druckgetrieben und nimmt militante Züge an. 2. Leistungen für die Patienten werden reduziert, sie erhalten teilweise nur noch die nötigste Zuwendung. 3. Überstunden werden aufgehäuft, die dann wieder durch Bereitschaftsdienste abgegolten werden. Ohne Freizeitausgleich, der dringend nötig wäre. Das ist aber durch den Personalmangel nicht möglich. 4. Die Mitarbeiter geraten so sehr unter Druck, dass einige Angst um ihren Arbeitsplatz haben. 5. Viele „Frontschweine“ fühlen sich durch ein subtiles „Schlechtes-Gewissen-Machen“ gegenüber den Patienten erpresst. 6. Der Krankenstand schnellt in die Höhe 7. Die Mundpropaganda beschädigt schleichend das Image des Krankenhauses. Junges Personal sieht im Seenlandklinikum keinen attraktiven Arbeitgeber mehr und potentielle Patienten weichen in andere Häuser aus. Sieben böse Geister-Erscheinungen! Und das angesichts des SANA-Konzern-Planes, der Stadt ihre Mehrheitsanteile am Klinikum abzukaufen.
Und die neue, hoffnungsvolle Strategie „Hoyerswerda – Familienstadt im sagenhaften Krabat- und Seenland“? Futsch und weggezaubert bevor sie beginnt? Gesundheitsversorgung von Familien durch einen Hauptakteur mit solch unattraktiven Arbeitsbedingungen? Krabatland? Ja – aber mit grimmig-zynischen Grüßen vom heimtückischen Schwarzmüller.
(Der Text war am 19.05.19 als Kolumne in der Sächsischen Zeitung/ Hoyerswerdaer Tageblatt geplant. Wurde bezahlt, aber nicht gedruckt. Aus inhaltlichen Bedenken. Ich habe nunmehr meine Arbeit als Kolumnist der Zeitung beendet.)