Kurze Geschichte der Bürgerschaft von Hoyerswerda

Weil ich oft erkläre, in welchen historischen Kontexten diese Stadt (ihre Bürgerschaft) die Flügel spannte, abstürzte, wieder Anlauf nahm, um Wind unter die Flügel zu kriegen, hab ich mal was aufgeschrieben.

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Hoyerswerda steht „mental“ in einer ackerbürgerschaftlichen Tradition, geprägt durch die geographische Randlage im Einflussgebiet des Oberlausitzer Sechsstädtebundes (1346-1815) sowie der wechselhaften Ausgrenzung bzw. Integration ihrer Bürgerschaft.

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Hoyerswerda wurde durch die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts nur gestreift (Eisenbahnbau) aufgrund der Randlage im Lausitzer Braunkohlereviers. Eine gravierende Proletarisierung der Bürgerschaft blieb zunächst aus.

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Hoyerswerda war Kernstadt sorbischer Traditionen. Die Stadt liegt an der Sprach-Grenzlinie zwischen Niederlausitzer und Oberlausitzer Sorben, mit einer eigenen „Mischsprache“. Einer Sprache, die faktisch ausgestorben ist. Zugleich liegt die Stadt auf der Grenzlinie zwischen katholischen und evangelischen Sorben. Ab 1933 wird sie „Kampfgebiet“ einer massiven „Germanisierung“ durch die Nazis (Verbote Vereine, Zeitungen, Sprache an der Schule, Versetzung von Lehrern u.a.) 1942 kulminierte der schleichende Ethnozid im Plan, die sorbischen Bevölkerung in die russischen Ostgebiete auszusiedeln. Ein Plan, der durch das Kriegsgeschehen nicht zur Ausführung kam.

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Im zentralistischen Staat DDR wird Hoyerswerda dem neugegründetem Kombinat „Schwarze Pumpe“ (1955) zugeordnet und als sozialistische Plan- und Wohnstadt erweitert. Administrativ wird sie Teil des neuen Bezirks Cottbus. Von 1955 bis 1885 wächst die Stadt von 7.000 auf 72.000 Einwohnern an und sollte, den letzten Planungen 1989 gemäß, auf 100.000 Einwohner anwachsen (durch den nicht mehr realisierten Wohnkomplex XI).

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Der ungewöhnlich wirtschaftlich erfolgreiche (auch international) agierende Superkonzern / Energiegigant Schwarze Pumpe beeinflusste die soziale „Umbildung“ der Bürgerschaft von Hoyerswerda maßgeblich. Zwei Aspekte sind hier erwähnenswert:
a) die noch in der Stadt präsente Gründer-Generation (80 plus) schuf unterhalb des Radars der Machtzentren Cottbus und Berlin ungewöhnlich produktive Kooperationsformen zwischen Partei, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgerschaft.
b) die nunmehr nachalternde Kindergeneration (55 plus) schuf noch in den 1980-er Jahren eine ebenfalls ungewöhnlich lebendige Kulturszene, die heute noch „mental“ nachhallt.

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Im Zuge der Wende entscheidet sich die Bürgerschaft von Hoyerswerda im Mai 1990 per Bürgerbefragung mehrheitlich dem neuentstandenen Land Sachsen beizutreten. Die Stadtgesellschaft löst sich damit administrativ von Schwarze Pumpe, der eigentlichen Quelle ihrer jüngeren städtischen Identität sowie von der Bezirkshauptstadt Cottbus. Ein komplizierter Loslösungsprozess beginnt, der sich zunächst in einer mangelnden Aufmerksamkeit der neuen administrativen Machtzentren Bautzen und Dresden gegenüber der Hoyerswerdaer Stadtgesellschaft und ihrer Belange widerspiegelt.

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Durch die Auflösung, Filetierung und den Verkauf des selbst 1989 noch hochproduktiven Gaskombinates Schwarze Pumpe, verloren in den Jahren 1990/91 tausende Bürger der Stadt ihren Arbeitsplatz. Eine massive Abwanderung inklusive ihrer Familien setzte ein. Die zugespitzten sozialen Spannungen innerhalb der Bürgerschaft entlädt sich im September 1991 am Gastarbeiter-/Migrationsthema. Die Hoyerswerdaer Ausschreitungen im September 1991 führen zu einer tragischen Verkennung und Stigmatisierung der Bürgerschaft, ein national und international pauschalisiertes Bild entsteht, das das Image von Hoyerswerda teilweise noch heute prägt.

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Im Schatten des Exodus der Hoyerswerdaer Bürger entsteht eine neue stadtpolitische Elite, die zunächst stark geprägt wird von den „Alteingessenen“ (Altstädtern) und vom Personal aus den alten Bundesländern, die zur strukturellen und administrativen Aufbau-/Intergrationshilfe nach Hoyerswerda kamen. Aus der Entstehung der neuen stadtpolitischen Elite entspringt ein neuer struktureller Konflikt zwischen bürokratischer Anpassung / Stadtumbau als business-as-usual einerseits – versus sozio-kultureller Praxis der sich erneut sozial umformenden Bürgerschaft andererseits. Der Konflikt durchlebt mehrere Schübe mit sehr speziellen Zuspitzungen und tritt möglicherweise jetzt – begünstigt durch den politisch „von oben“ eingeläuteten Strukturwandel in der Lausitz (Braunkohle-Ausstieg) in ein neues spannendes Stadium.