Empfohlen wird die radikale Ausrichtung der Stadt auf Menschen zwischen 20 und 50. Aber das ist nicht einfach.
Vergeben Sie mir! ich muss nochmals auf dem faden Knochen herumkauen, den ich Ihnen mit den letzten beiden Beiträgen in meinem Kolumnen-Blechnapf kredenzte… Erinnern Sie sich an die vermaledeite Studie des Empirica-Istituts über das „Schwarmverhalten in Sachsen“? Und erinnern Sie sich, dass diese Studie die Stadt Hoyerswerda zu den „Schrumpfungsstädten und ausblutenden Gemeinden“ des Freistaates zählte, welche eine „palliativ-medizinische Behandlung“ benötigen? Eine Behandlung, die „nicht eine völlige Einstellung aller Leistungen der öffentlichen Hand (bedeutet), sondern eine soweit wie mögliche Reduzierung der Schmerzen bis zum Tod.“
Im letzten, luftigen Sommer aus einer Reha-Klinik direkt nach Hoyerswerda gezogen, als frisch gebackener Schwerbehinderter voll leichtfüßigem Tatendrang, hielt ich diese eisige Prognose so pur nicht aus und erfand mir selbst in den beiden letzten Kolumnen eine wärmende Fußballmetapher. Schließlich, dachte ich naiv, könnte eine Stadt, die in der Hades-Liga der „Schrumpfungsstädte und ausblutenden Gemeinden“ dümpelt vielleicht in eine nächsthöhere Liga aufsteigen. Der Studie nach ist das die Liga der „versteckten Perlen“. Und so frage ich mich also heute: Was sagt die apokalyptische Studie, muss eine Stadt mitbringen, um dort mitspielen zu dürfen? Was könnte das arme Hoyerswerda veredeln zu einer „versteckten Perle“? Mit Schippchen, Eimerchen und Sieb machte ich mich nochmals über die Studie her. Und fand tatsächlich einige Sätze. Aufgepasst!
„Offen ist die Frage, warum es einigen Städten gelingt, eine Ankerfunktion im Raum zu entwickeln und zur versteckten Perle, zur Wachstumsstadt oder gar zur Schwarmstadt zu werden und anderen nicht. Wie bereits in der Bundesstudie diskutiert, ist vor allem die Anwesenheit anderer junger Menschen die zentrale Anziehungskraft, wobei aber offenbleibt, warum sie angefangen haben, sich in der einen Stadt zu konzentrieren, in der anderen aber nicht. Die Anwesenheit einer Universität/Hochschule wurde als alleinige, hinreichende Begründung in der Bundesstudie ausgeschlossen (…) Mutmaßlich dürfte es eine Vielzahl von unveränderlichen (Baulicher Gesamteindruck, Lage im Raum, Autobahn- und Eisenbahnanschluss) und veränderlichen (Qualität des Wohnungsangebotes, gesellschaftlicher Zusammenhalt) Faktoren sein.“
Ist das nicht ein Hinweis? Nicht die ewige, deprimierende Leier von attraktiven „Arbeitsplätzen und Löhnen“. Die Anwesenheit anderer junger Menschen stellen die Forscher – nicht als einziges – aber als das z-e-n-t-r-a-l-e Kriterium heraus! Einer der Verantwortlichen der Studie, der Volkswirtschaftsprofessor Harald Simons von der HTWK Leipzig, sagte, als er gefragt wurde ob und wie man das „Ausbluten“ stoppen könne: „Wenn es uns gelingt, eine gewisse Zusammenballung junger Menschen in den 50.000/30.000- Einwohner-Städten auf dem Land hinzubekommen, dann sind da auch genügend. Aus der kleinen Umgebung trifft man sich wenigstens an diesem einen Punkt. Wenn es diesen Punkt aber nicht gibt, dann kann man sich nur in den Schwarmstädten treffen. Und dann müssen auch die gehen, die nicht gehen wollen. Wir haben in der Zwischenzeit Regionen, da haben wir wirklich dieses der-letzte-macht-das-Licht aus, da muss ich schon gehen, weil ich da keinen mehr hab, mit dem ich noch irgendwas zu tun haben kann.“ (http://bit.ly/2ddnD7x)
Setzen wir diese Prämissen als gegeben voraus, kommt nun die Conclusio: Wenn wir stark ergrauenden Herren noch längerfristig jüngere Frauen und unsere mit uns ergrauenden Altersgenossinnen jüngere, charmante Männer in ihrem Stadtalltag um sich wünschen, dann scheint es so als müssten wir 50/60/70plus-Generationen, unseren Blick wohl noch stärker auf die „Jüngeren“ richten und eine originelle „Balzkultur“ entwickeln, um sie zum Hier-Bleiben, Verweilen bzw. Herkommen zu animieren. In der Sprache der Studie hieße das: die Vielzahl „unveränderlicher“ und „veränderlicher Faktoren“ radikal auf die Bedürfnisse und Wünsche der 20/30/40-er-Generation auszurichten. Nur: Wollen wir „Älteren“ diesen Artenschutz für die Stadt überhaupt? Sind wir davon überzeugt? Wollen wir die letzten dieser Art als lebendiges, unruhiges und sich lustvoll vermehrendes Rudel um uns haben? Es würde mich nicht wundern, wenn wir sauertöpfischen „Älteren“ dann auf einige unserer Platzhirsch-Gewohnheiten verzichten müssten. Denn wie zum Teufel macht man denn so was: Die davonschwebenden, jüngeren Generationen wie ein Heer von Elfen umwerben, umgarnen und verführen?
(veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung / Hoyerswerdaer Tageblatt 18./19.03.17)