ZEITENWENDE IN HOYERSWERDA: Gibt es eine Alternative zur Schrumpfung? (3/3)

Ich besuche die 2. Planwerkstatt zum Gesamtstädtischen und regionalen Entwicklungs- und Handlungskonzept (GeREHK) und mache ein paar Tonaufnahmen mit dem Smartphone. Ich wusste, dass hier kluges Zeug geredet wird.

Ein ausgebuffter Boxer
Im Nachhinein wirkte der externe Fach-Experte Nico Neumann auf der 2. Planwerkstatt zum GeREHK*-Prozess wie ein Boxer, der uns mit demonstrativer Freundlichkeit auf einen kräftigen Kinnhaken vorbereitete: „Tut mir leid, aber ich werde euch jetzt gleich in die Fresse hauen.“ Einer, der vorher nüchtern erklärte, wie man wieder auf die Beine kommen kann. Und dann ausholt.

Lineares „Weiterso“ heißt neue Schrumpfung
Nico Neumann: „Keine Angst. Ich will bloß kurz erläutern, wie man bisher vorgegangen ist. Eine einfache Fortberechnung. Im Jahre 2022 hatten wir 31.500 Einwohner. Das Wanderungssaldo war ein Plus von 33 Menschen. Das klingt erstmal schön. Aber wenn wir sehen, dass wir jährlich 500 Menschen durch das natürliche Saldo (Tod) verlieren, dann ist das eine Dimension! Wir verlieren im Jahr etwa 450 Menschen. Jedes Jahr.“

„Bisher war die Logik der reinen Fortberechnung: Wenn alles weitergeht wie bisher, dann haben wir im Jahr 2040 unter 25.000 Einwohner. Und was ganz dramatisch ist, wir haben dann nur noch 13.000 Erwerbsfähige statt 17.000. Diese 4.000 fehlen uns in der Pflege, im Gesundheitssystem. In der Versorgung. In der Bildung. In der Aufrechterhaltung unseres gesellschaftlichen Lebens.“

Greiser sozialer Körper – oder eine andere Herangehensweise?
„Und jetzt lassen Sie uns mal umdenken. Was heißt es denn, wenn wir einfach mal andersherum herangehen? Wenn wir die Arbeitskräfte, die jetzt altersbedingt wegfallen, wenn wir die nur zu 75% neu ersetzen? Dann brauchen wir im Jahre 2040 15.300 Arbeitskräfte. Und wenn wir das dann zurückrechnen, dann brauchen wir unter Berücksichtigung unseres natürlichen Saldos eine jährliche Zuwanderung von 274 Menschen. Jährlich. Dann würde unser Bevölkerungsverlust bis 2040 nur auf minus 10 Prozent sinken.“

Und was, wenn wir erfolgreich im Strukturwandel wären?
„Und jetzt den ganz weiten Weg. Das wäre eine Wunschvorstellung, das ist mir klar. Ich möchte nur ein Gedankengerüst entwickeln. Was passiert, wenn wir erfolgreich wären im Strukturwandel? Wo wir sagen, 50% der zu besetzenden Arbeitsplätze, die in Hoyerswerda, in den Nachbargemeinden und in Schwarze Pumpe entstehen, 50% dieser Leute würden hier bei uns wohnen.“

„Wenn wie sagen würden: Wir sind die größte Stadt in der Region. Wir haben urbane Qualitäten geschaffen, so dass die Leute vorrangig bei uns leben wollen. 50% klingt jetzt nicht überambitioniert. Das heißt wir müssten neben den bei uns zu ersetzenden Arbeitskräften weitere 3.500 gewinnen. Das wäre dann eine jährliche Zuwanderung von 500. Wenn wir diese Zuwanderung hätten, dann würden wir 2040 eine Einwohnerzahl haben, die etwa das Niveau von 2022 hat.“

Nicht Anpassung, sondern Zuwanderung ist der entscheidende Punkt
„Ich will bloß sagen, das Thema Zuwanderung ist der entscheidende Punkt. Bisher haben wir uns immer nur in der Anpassung bewegt. Jetzt müssen wir überlegen: Was müssen wir tun, damit diese Entwicklung eintritt? Und das müssen wir proaktiv steuern. Wir können da nicht nur einfach fortberechnen.“

Beispiel: Was heißt das für die Kindertagesstätten?
„Wir sehen, dass die Kinderzahl deutlich sinken wird, und zwar innerhalb der nächsten sieben, acht Jahre. Und dazu wir müssen uns jetzt Gedanken machen. Passen wir unsere Angebote an? Weil, wir haben ja ein Überangebot mit 1.300 Plätzen. Und wir haben nur noch 1.000 Kinder. Oder müssen wir uns Gedanken machen? Weil wir den Zuwanderern kein knappes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen machen wollen. Weil wir argumentieren wollen: Kommt zu uns, wir sind familienfreundlich. Du bekommst hier einen Kita-Platz.

Ins Risiko gehen – oder nicht?
„Und das ist der Spagat, in dem wir uns bewegen und wofür wir Lösungen finden müssen. Wie gehen wir mit dem Raum der Unsicherheit um? Bis wir wissen, ob die Entwicklungen des Strukturwandels eintreten oder nicht. Wie gehen wir mit dieser Unsicherheit um? Das ist die entscheidende Frage. Denn es geht nicht nur um Kindertagesstätten, sondern auch um die Schulen. Und um Wohnungen.“

„Insofern erster Grundsatz in der Ausrichtung der Stadtentwicklung ist: Nicht mehr die Berechnung von Schrumpfungs-Szenarien, sondern den Mut entwickeln zu beobachten, abzuwarten, Zwischenlösungen zu finden, ganz aktiv Qualitäten zu entwickeln, auszuprobieren, um Leute für uns zu interessieren.“

„Wir müssen Qualitäten für die Zukunft schaffen. Wir müssen heute überlegen: Was wollen die Menschen, die zu uns kommen? Was müssen wir anpassen? Was müssen wir an neuen Qualitäten schaffen?“

Durch kooperative Stadtentwicklung Zuwanderung steuern
„Es geht um Vordenken. Um bestimmte Formen der kooperativen Stadtentwicklung. Um das Miteinander der lokalen Akteure. Es geht um das Erarbeiten langfristiger Strategien, die ein gemeinsamer Handlungsrahmen sind. Nicht nur der Stadt, sondern auch der kommunalen Unternehmen, der Wohnungsunternehmen und der lokalen Wirtschaft.

Strukturwandel in der Lausitz ist nur erfolgreich mit der Transformation von Hoyerswerda
„Es muss uns einfach gelingen, den Fördermittel-Gebern und dem Freistaat klarzumachen: Strukturwandel in der Lausitz wird nur erfolgreich sein, wenn die Transformation von Hoyerswerda erfolgreich ist. Wenn niemand hier wohnen will oder nicht hinreichend attraktive Lebensbedingungen vorfindet, wird der Strukturwandel nicht erfolgreich sein. Das ist die klare Message, die die Kommunen senden sollten. Es geht um Lebensqualität vor Ort und nicht nur um die Schaffung von Arbeitsplätzen.“

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