Bauprojekt WK9: Offener Brief der Initiative Mitmachstadt Hoyerswerda (MiMaH)

Ein Stadtpolitiker initiiert ein Bauprojekt, das am Stadtrand ein großes, modernes Einkaufscenter errichten möchte. Obgleich es einen Überschuss an Einzelhandelsflächen in der Stadt gibt. Heftiger Protest gegen dieses Vorhaben entsteht. Man bittet mich, dazu was aufzuschreiben. Ich tu’s.

Trotz ausgesprochen positiver Erfahrungen der MiMaH mit der Stadtverwaltung und zahlreichen Stadträten erleben wir gerade eine wachsende Irritation: Auslöser ist der Umgang der Stadtpolitik (Stadtrat und Stadtverwaltung) mit dem Bauprojekt „Neue Kühnichter Heide“.

Vorweg: Es geht der Bürgerinitiative mit diesem Schreiben nicht darum für oder gegen das Projekt zu votieren, sondern darum, dass die Stadtpolitik eine breitere Bürgerbeteiligung bei der Entscheidungsfindung über die Bebauung ermöglicht.

Wir stellen nicht in Zweifel, dass die gesetzliche Pflicht zur Bürgerbeteiligung formal erfüllt ist. Im Sinne einer realen demokratischen Einflussnahme der Bürger auf höchst stadtrelevante Vorgänge, scheint uns dies jedoch in diesem Fall nicht ausreichend. Reale Bürgerbeteiligung zeichnet sich durch mehrere Stufen wachsender Einflussnahme aus: 1) Information, 2) Konsultation, 3) Kooperation, 4) Einbeziehung, 5) Ermächtigung. Wir wünschen uns mehr Einflussnahme: Kooperation und Einbeziehung.

Ausgangspunkt unserer Argumentation sind erstens zahlreiche Stimmen in der Stadtgesellschaft, die das Bauprojekt scharf kritisieren. Zweitens liegen u.E. tatsächlich eklatante Verstöße zu den Empfehlungen des Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (SEKo) 2016/17 vor. Das SEKo wurde auf der Grundlage einer bürgerbeteiligten Stadtwerkstatt von der DSK Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft moderiert, erstellt und schließlich vom Stadtrat am 27.02.18 als bindendes Dokument anerkannt. Abweichungen von einem solch bedeutsamen Konsens-Dokument bedürfen eines breiten, öffentlichen Diskurses und einer neuen Konsensbildung in der Bürgerschaft.

Wir entdecken vier „Verstöße“ der Stadtpolitik, die im Widerspruch zum SEKo stehen:

1. Es wird keine Neubebauung des WK IX empfohlen: „Die Stadtfigur wird langfristig auf eine Zentralstadt ausgerichtet, welche in ihrem Inneren bandartig die Kernbereiche der Altstadt und der Neustadt erfasst. Ziel ist eine attraktive, funktional reichhaltige Stadt, die für die Bewohner leistbar ist. Mit dem Szenario 2025 und dem von allen Beteiligten getragenem Rückbauprinzip von Außen nach Innen sollen langfristig die Wohnungsstandorte der äußeren Neustadt (WK 8, WK 9 und WK 10) weitestgehend aufgegeben werden. In den Wohnkomplexen WK 4,WK 5e, WK 6 und WK 7 sollen sich mit großflächigen Rückbauten von Wohngebäuden die Ränder zum Stadtinneren verschieben.“ (siehe SEKo, S. 52)

2. Es wird der Schutz, die Qualifizierung und die Aufwertung vorhandener städtischer Strukturen empfohlen (siehe SEKo, S. 54ff).

3. Bezüglich zu tätigender Investitionen und den Umgang mit externen Investoren heißt es: „Einzelinteressen dürfen nicht den Erfolg des weiteren Stadtumbauprozesses gefährden – ein nachhaltiger Erfolg bei der Anpassung der Neustadt an die künftige Nachfrage und Sicherung als attraktiven Wohnstandort kann nur im „Ganzen“ und durch Kooperation aller Akteure erreicht werden.“ (siehe S. 54)

4. Das SEKo empfiehlt ausdrücklich eine inhaltlich breite Bürgerbeteiligung in Form von kooperativen Verfahren (z.B. Werkstätten). (siehe SEKo, S. 62 ff).

Wir bitten auf Grundlage der o.g. Argumente, den Entscheidungsprozess aus dem „geschlossenen“ Kreis von Stadtrat und Stadtverwaltung herauszuholen und eine öffentliche Stadtwerkstatt einzuberufen, auf der die Argumente des Pro und Kontra der Bebauung sachlich-fundiert und wertschätzend abgewogen und besprochen werden.

Gez. die Mitglieder des Orga-Teams der Initiative Mitmachstadt Hoyerswerda (MiMaH):
Marita Gatzlaff, Franziska Hauptmann, Denise Köckritz, Juliane Mietzsch, Dagmar Steuer, Olaf Winkler, Toni Züchner

Hoyerswerda, 8. Mai 2023